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# taz.de -- Jam like an Egyptian
> Der Dokumentarfilm „Cairo Jazzman“ porträtiert das weltoffene Cairo Jazz
> Festival und seine Macher, wobei auch die Stadt zum Protagonisten des
> Geschehens wird
Bild: Im Oktober fand das unabhängig organisierte Cairo Jazz Festival zum elft…
Von Katrin Wilke
Seit 2009 geht der ägyptische Pianist Amr Salah seiner Liebe für den Jazz
mit einem selbst organisierten, internationalen Festival nach. Wie viel
Idealismus, Herzblut und Schweiß das Cairo Jazz Festival Jahr für Jahr
möglich machen, dokumentiert der Film von Atef Ben Bouzid auf berührende
Weise.
Mit Jazz assoziiert man Ägypten nicht allzu sehr. Allerdings wartet das
Heimatland von Umm Kulthum mit allerhand popmusikalisch interessanten
Phänomen auf, zum Beispiel der in den Siebzigern aufgekommenen Shaabi-Musik
oder einem nubischen James-Brown-Pendant, dem von Funk und kubanischer
Musik beeinflussten, 2001 verstorbenen Ali Hassan Kuban. Die 1968 aus
Militärmusikern rekrutierte, stark von US-Jazz geprägte Cairo Jazz Band
gilt indes als Pionierensemble in Sachen ägyptischer Jazz, auf das etwa
auch Sun Ra oder Embryo aufmerksam wurden.
Als 1979 ein Herr Sinatra am Fuße der Gizeh-Pyramiden konzertierte, da
begann der damals sechsjährige Salah gerade mit dem Klavierspiel. Vierzig
Jahre später hat der Jazzmusiker die Welt, nicht nur die arabische, zu Gast
bei seiner stiloffenen Veranstaltung, die im Oktober zum elften Mal
stattfand.
Dass es in den 82 Filmminuten nicht nur um das Porträt eines tatkräftigen
Festivalmachers und leidenschaftlichen Jazzfans geht, lässt schon die
vorangestellte Widmung „an die ägyptische Zivilgesellschaft“ erahnen. Und
diese ist – wie im Film auf verschiedenen Ebenen thematisiert –
mehrheitlich jung und mehrheitlich in ihrer Entwicklung von altgedienter,
offizieller Seite ausgebremst, in diesem wie vielen anderen arabischen
Ländern.
Salah kann jedenfalls jedes Jahr aufs Neue auf ein so kleines wie agiles
Team vor allem junger aufgeschlossener, engagierter Freiwillige zählen. Der
47-jährige Festivalchef, der sich im Film explizit nicht als solcher,
sondern als Künstler, als Pianist definiert, mutet so weltgewandt wie
patriotisch an. Er möchte mit dieser Non-Profit-Veranstaltung allen
Widrigkeiten zum Trotz „etwas Positives in seinem Land“ sehen, Fortschritte
in der Kulturszene und Verbesserungen im Bildungssystem. Die Leute müssen
erfahren, dass Jazz eine Lebenseinstellung, eine Philosophie ist.“ Und die
korrespondiert, obwohl offiziellerseits als eher ungefällig, abseitig
beargwöhnt, wundersam gut mit dem Improvisationsgeist dieser temporeichen,
chaotischen, dauerhaft von Autos verstopften, lärmigen Metropole. Kairo
erscheint in dem dramaturgisch klug und geschmackssicher gestalteten
Dokumentarfilm wie ein weiterer Protagonist des Geschehens – raffiniert,
geradezu groovy verzahnt mit der atmosphärisch jeweils passenden Musik.
Regisseur und Produzent Atef Ben Bouzid ist hiermit ein beachtliches Debüt
gelungen. Der in Deutschland geborene Sohn tunesischer Einwanderer begab
sich 2002 erstmals nach Kairo, um dort Arabisch zu lernen. Der bekennende
Fan pulsierender Megacities stieß dort nicht nur auf eine einzigartige,
kontrastreiche Vitalität, sondern bald auch auf den Pianisten und
Komponisten Amr Salah. Der studierte Apotheker, der sich gegen diesen Beruf
für die Musik entschied, repräsentiert als Ziehvater dieser gerade auch die
jungen Generationen einbeziehenden, interaktiven Veranstaltung mit seinem
künstlerisch-sozialen Tun diese starke, durchaus auch ambivalente Energie
seiner Stadt und ihrer Bewohner offenbar bestens.
Der langjährige Wahlberliner Ben Bouzid war bald von der Idee beseelt,
diesen visionären Kulturaktivisiten aus Kairo und sein ambitioniertes
Projekt filmisch zu dokumentieren. Sein Hauptaugenmerk war dabei nicht mal
die Musik. Es ging ihm vorneweg darum, „dem sonst gängigen, medialen
Narrativ, all den bad news aus der arabischen Welt eine andere Perspektive
entgegenzusetzen mit einem solch schönen, wenig bekannten Beispiel“.
Die trotz aller Hindernisse hoffnungsfrohe Geschichte hält allerdings nicht
mit Gesellschaftskritik hinterm Berg. Immer wieder werden seitens der
Macher wie auch auftretender Musiker, etwa der Marokkanerin Oum, – mal
subtiler, mal ganz explizit – bessere Möglichkeiten, für die Jugendlichen
in ihrer musikalischen und sonstigen Entwicklung angemahnt. Auch hört man
einem Mitarbeiter im Tourismusministerium dabei zu, wie er mit hehren,
letztlich aber wohl leeren Worten die stärkere Unterstützung des Cairo Jazz
Festivals ankündigt. So wurde der in nur 27 Tagen gedrehte Film – wie das
Festival selbst ein unabhängig realisiertes Projekt – nicht von ungefähr
bislang weder in Ägypten, noch anderswo in der arabischen Welt offiziell
gezeigt.
Dafür feierte er beim Filmfestival in Rotterdam seine Weltpremiere und war
danach in allen möglichen anderen Ecken der Welt zu sehen. Doch egal, ob
das neue Jahr dem Film sein verdientes Heimspiel bescheren wird oder nicht.
Der stets schmunzelnde „Cairo Jazzman“, der irgendwann mal meint: „Gott
liebt Jazz“, agiert unbeirrt weiter. Denn jeder könne sehen: „Hier passiert
was! Das inspiriert und gibt Hoffnung.“ Inshallah …
„Cairo Jazzman“ (2017) läuft am 20. 12., 20.15 Uhr, 21. 12., 20 Uhr, 22.
12., 18 Uhr und 23. 12, 19.30 Uhr, im Kino Babylon-Mitte,
Rosa-Luxemburg-Str. 30 – am 20. 12. in Anwesenheit des Regisseurs, mit
anschließendem Q&A sowie Livemusik.
19 Dec 2019
## AUTOREN
Katrin Wilke
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