# taz.de -- Vorbilder und sich selber finden | |
> Ciani-Sophia Hoeder ist die Gründerin des „Rosamag“. Das Onlinemagazin | |
> orientiert sich auf die Zielgruppe Schwarzer Frauen im deutschsprachigen | |
> Raum | |
Bild: Ciani-Sophia Hoeder ist erfolgreiche Start-up-Gründerin | |
Von Heba Alkadri | |
Die Erkenntnis traf Ciani-Sophia Hoeder schwer: „Überall um mich herum gab | |
es glattes Haar. So sah das Schönheitsideal aus.“ Aufgewachsen ist Hoeder | |
in einem homogenen Umfeld in Berlin. Alles um sie herum war weiß geprägt. | |
Nicht einmal die weiße Mutter sah ihr ähnlich. Und so fragte sie sich: „Bin | |
ich schön genug?“ Mit 11 Jahren habe sich Hoeder deshalb zum ersten Mal die | |
Haare mit einem chemischen Relaxer geglättet, erzählt sie. 17 Jahre lang | |
habe sie das gemacht: die Locken verbergen, zur Anpassung. Später lernte | |
Hoeder, dass die Behandlung gesundheitsschädlich ist. „Warum hat mir | |
niemanden gesagt, dass diese chemische Prozedur Krebs verursachen kann? | |
Warum wissen Schwarze Menschen das nicht? Ist uns die Anpassung so wichtig, | |
dass wir dafür unsere Gesundheit aufs Spiel setzen?“, fragte sie sich. Ihre | |
Wut vermischte sich mit Trauer. Sie wollte die Haare wieder natürlich | |
tragen. In dieser Zeit sei ihr auch aufgefallen, dass es kein einziges | |
Magazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum gibt. | |
Viele Zeitschriften hat Ciani-Sophia Hoeder aufgeschlagen und sich durch | |
viele Blogs gescrollt, doch nicht in einem einzigen habe sie sich selbst | |
gesehen. Ihre Afrolocken. Ihre Hautfarbe. Ihre Fragen. Ihre Perspektive. | |
Ihre Welt, in großen und kleinen Details. Deshalb hat Hoeder im November | |
2018 schließlich Rosamag gegründet, das erste Online-Lifestylemagazin für | |
Schwarze Frauen in Deutschland, der Schweiz und Österreich. „Ich will mit | |
dem Magazin Schwarze Frauen informieren, inspirieren und empowern.“ Mit | |
ihren Beiträgen will Hoeder Vorbilder schaffen und die facettenreichen | |
Lebenswelten der modernen Schwarzen Frau porträtieren, erklärt sie im | |
Rosamag. | |
Während sie sonst selber als Journalistin mit Aufnahmegerät, Papier und | |
Stift ausgerüstet zuhört und nachfragt, kann sie in unserem Gespräch | |
entspannt und zurückgelehnt ein Curry-Bowl essen. Vor einem Jahr verlor | |
Hoeder überraschend ihren Job. Dieser große Einschnitt veranlasste sie, | |
innezuhalten, durchzuatmen und darüber nachzudenken, was ihr wichtig war. | |
Bis zu diesem Zeitpunkt hastete sie vom Bachelor zum Master, zum ersten | |
Job, zum zweiten – ohne Pause. | |
Als die NGO, für die sie arbeitete, Hoeder vor die Tür setzte, saß sie am | |
Abend auf dem Sofa mit Peanutbutter-Eis, erinnert sie sich heute. Lange lag | |
sie noch wach und starrte die Zimmerdecke an. Viele Entwürfe, Ideen und | |
Fragen kamen und gingen. Sie wollte etwas Neues machen, mit mehr Sinn. Und | |
dann war es für sie klar gewesen: Ein Magazin. Von Schwarzen Frauen für | |
Schwarze Frauen. „Nur warum hatte das bis dahin niemand gemacht? Etwas | |
musste da nicht stimmen!“ | |
Also rief Hoeder JournalistInnen, BloggerInnen, Initiativen an und holt | |
Informationen ein. Normalerweise muss die Gründerin eines Start-ups mit | |
klaren Daten arbeiten und die Zielgruppe bestimmen, bevor es losgeht. „Doch | |
niemand weiß, wie viele Schwarze Menschen in Deutschland leben. Es gibt | |
keine Zahlen, keine Statistiken.“ Trotzdem fing Hoeder einfach an, zu | |
schreiben, fotografieren und Entwürfe zu malen. | |
Hoeder hat Journalismus studiert, viele Praktika absolviert und für eine | |
PR-Agentur gearbeitet. Sie war sich sicher, dass ihr Wissen über | |
journalistisches Schreiben, Branding und Öffentlichkeitsarbeit umfassend | |
genug für die Gründung war. Trotzdem hatte sie Angst, ins kalte Wasser der | |
Selbstständigkeit zu springen: „Was wenn es nicht funktioniert? Was, wenn | |
man sich überarbeitet oder verarmt?“. Sie sei nie die Frau gewesen, die | |
unbedingt selbstständig arbeiten wollte, sagt sie heute: „Ich bin ein | |
Angsthase. Ich war daran gewöhnt, ein festes Einkommen und bestimmte | |
Urlaubstage zu haben.“ Den Sprung hat sie dennoch gewagt, mit Erfolg. | |
Bereits acht Monate nach dem Start wurden dem Rosamag Fördergelder vom | |
Media Lab Bayern zugesichert. | |
Seit der Gründung des Magazins habe sich sehr viel in Hoeders Leben | |
verändert, berichtet sie. 70 Stunden in der Woche arbeite sie. Dazu gehören | |
die ständige Verbindung zur Community und die Auseinandersetzung mit einer | |
Vielzahl an Themen: Identität, Mikroaggressionen und Rassismen im Alltag. | |
Es ist wie eine Selbsttherapie. | |
Mit ihrem Team von sieben Ehrenamtlichen, alles Schwarze Frauen, produziert | |
Hoeder täglich einen Beitrag. Diese werden dann der Zielgruppe angepasst | |
auf Social-Media-Kanälen verbreitet, wo auch Beiträge anderer Medien | |
empfohlen werden. Zwei Videobeiträge in der Woche kommen dazu. Auch die | |
Bilder im Rosamag werden selber erstellt. | |
Über die Frage, ob das nicht alles sehr anstrengend sei, schweigt Hoeder | |
einen Moment. Sie nimmt ihr Handy und spricht weiter, während sie auf dem | |
Handydisplay herumtippt: „Vor drei Tagen habe ich diese Nachricht von einer | |
16-jährigen Rosamag-Leserin bekommen.“ Ihre Stimme wird tiefer. Sie liest | |
vor: „Liebe Ciani, ich habe euer Magazin gefunden und habe alle Beiträge | |
in einem Tag durchgelesen Für mich ist Rosamag wie ein Austausch zwischen | |
Geschwistern.“ | |
Sicher, Hoeder arbeitet viel mehr als früher, selbst an den Wochenenden. | |
Sie könne aber alles, was um sie herum passiert, mehr schätzen, sagt sie. | |
Sie gehe viel in die Natur, treffe FreundInnen und tanze den Stress weg. | |
Doch manchmal vermisse sie doch die Sicherheit eines festen Jobs. Als | |
Selbstständige könne man sich eben nicht einfach krankmelden, wenn man | |
Kopfschmerzen oder einfach nur einen Schnupfen habe. „Aber seit ich das | |
Magazin gegründet habe, war ich nicht ein Mal krank“, sagt sie, klopft auf | |
Holz und lacht laut. | |
Warum es so wichtig ist, Vorbilder sichtbar zu machen, beschreibt Hoeder | |
mit einem Porträt, das sie über eine Frau mit besonderem mathematischen | |
Talent geschrieben hat. Die Frau wollte nach der Schule Informatik | |
studieren, war aber skeptisch gewesen, ob sie als Schwarze Frau in den | |
mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich passe. Der Film „Hidden | |
Figures“ über afroamerikanische Frauen bei der Nasa in den 1960ern habe | |
sie schließlich ermutigt, ihrem Berufswunsch zu folgen. | |
Auf die Frage, ob sie selber Vorbilder hatte, wird Hoeder nachdenklich: | |
„Nein, ich habe keine gehabt.“ Ihren Blick senkend ergänzt sie: „Aber es | |
gab in meinem Umfeld starke Frauen, zu denen ich aufgeblickt habe.“ Eine | |
davon sei ihre Mutter gewesen, die immer gesagt habe: „Schätzchen, du | |
kannst alles sein, was du willst. Willst du Kanzlerin sein? Willst du | |
Musikerin sein? Das alles kannst du.“ Genau das will Hoeder mit dem Rosamag | |
vermitteln: „Ihr könnt alles sein, was ihr wollt.“ | |
Siebzehn Jahre lang hatte Ciani-Sophia ihre Locken verborgen, zur | |
Anpassung. Heute sind ihre Haare gelockt. Stark gelockt. | |
22 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Heba Alkadri | |
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