# taz.de -- Journalismus in der Türkei: Der Presseausweis als Problem | |
> Wer Journalist*in ist und wer nicht, bestimmt der Staatspräsident. In den | |
> letzten 6 Monaten wurde 2.000 Journalist*innen der Presseausweis | |
> entzogen. | |
Es wird nicht leichter, in der Türkei journalistisch zu arbeiten. Ein | |
neues, akutes Problem für Berufstätige im Feld ist es geworden, an einen | |
Presseausweis zu kommen. Bis einschließlich vergangenes Jahr stellte das | |
Generaldirektorat für Presse und Information die offiziellen Ausweise aus. | |
Doch im Zuge der Umstrukturierung des türkischen Regierungssystems wurde | |
diese Behörde im Juli 2018 aufgelöst und auch ihre Befugnisse dem | |
Staatspräsidenten übertragen, genauer gesagt dem “Präsidium für | |
Kommunikation beim Amt des Staatspräsidenten“. Diese Unterabteilung führte | |
eine Reihe neuer Regelungen ein. | |
Dank des neuen Systems kann ein bereits ausgestellter Presseausweis sehr | |
viel schneller ungültig gemacht und zurückgenommen werden als zuvor. Wer | |
einen Ausweis beantragt, darf weder wegen sogenannter “Terrorverbrechen“ | |
oder Straftaten, die “terroristischen Zwecken“ dienen (wie Zeitungsartikel | |
oder Tweets) vorbestraft sein, noch wegen “Vergehen gegen die | |
Landesverteidigung“, also Straftaten wie Geheimnisverrat oder Spionage. | |
Diese Kategorien von Straftaten finden sich in so gut wie allen | |
Anklageschriften oder Haftbefehlen gegen Journalist*innen, die in den | |
letzten Jahren vor Gericht standen oder im Gefängnis saßen. Wer also je als | |
Journalist*in verurteilt wurde, bekommt seinen Presseausweis abgenommen und | |
wird keinen mehr ausgestellt bekommen. Auf diese Weise werden in den | |
türkischen Gefängnissen keine Journalist*innen mehr sitzen. Denn nach | |
Regierungssicht ist nur Journalist*in, wer im Besitz eines gültigen | |
Presseausweises ist. Alle anderen sind dann “Terrorist*innen“ oder | |
“Spion*innen“. | |
Für das Amt des Ministerpräsidenten beantwortete unlängst Sprecher Fuat | |
Oktay eine kleine Anfrage des CHP-Abgeordneten Ömer Fethi Gürer. Demnach | |
wurden in den vergangenen vier Jahren 3.804 Journalist*innen ihre laufenden | |
Presseausweise entzogen. Im Oktober 2019 waren in der Türkei 12.735 | |
Personen im Besitz eines gültigen Presseausweises. Im April waren es noch | |
14.759 gewesen. In den vergangenen sechs Monaten wurden also über 2.000 | |
Presseausweise ungültig gemacht. | |
## Ohne Presseausweis ist es schwierig zu arbeiten | |
Einer der Betroffenen ist Şevket Yılmaz, der in Ankara als Korrespondent | |
für den irakisch-kurdischen Fernsehsender Rudaw TV arbeitet. “Ich kann | |
meinen Job nicht mehr richtig machen“, sagt Yılmaz. Das Präsidium für | |
Information hat neben seinem Presseausweis auch den von Kolleg*innen | |
eingezogen, die während des zweijährigen Ausnahmezustands ab Sommer 2016 | |
für den gleichen Sender arbeiteten. | |
Yılmaz versucht, ohne offiziellen Ausweis durch den Alltag zu kommen. Das | |
ist oft schwierig. “Wenn ich einen Korrespondentenbericht von einem zentral | |
gelegenen Ort wie Kızılay aus aufnehmen möchte, kommt die Polizei und will | |
meinen Presseausweis sehen. Wenn ich keinen habe, können sie die Aufnahme | |
abbrechen. Ins Parlament komme ich gar nicht erst rein, obwohl ich einen | |
Vertrag als Parlamentskorrespondent habe. | |
Für viele altgediente Journalist*innen wird es schwerer. Für junge | |
Berufseinsteiger*innen ist allerdings unter den neuen Regelungen die | |
Wartezeit für einen Presseausweis auf die Hälfte verkürzt worden. Wer | |
volljährig ist und Abitur hat, muss über 18 Monate hinweg vier Artikel | |
unter eigenem Namen pro Monat vorweisen, um als Korrespondent*in einen | |
Presseausweis zu bekommen. Wer Journalistik studiert hat, bekommt den | |
Ausweis nach sechs Monaten. Einzige Bedingung: Es darf kein Berufsverbot | |
für den öffentlichen Dienst vorlegen. Und natürlich entscheidet die | |
Kommission für Presseausweise beim Präsidium für Information, wer einen | |
bekommt und wer nicht. | |
## Belohnung für Leute, die sich still verhalten | |
Was aber nicht heißt, dass nicht manche Journalist*innen jahrelang darauf | |
warten müssten, dass ihnen ein Presseausweis ausgestellt wird. Birkan Bulut | |
erfüllt alle Kriterien. Er arbeitet in Ankara für die linke Tageszeitung | |
Evrensel und hat sich noch 2017 unter dem alten System um einen | |
Presseausweis bemüht. Bisher hat er immer noch keinen und wird daher von | |
Behörden und Sicherheitskräften nicht als Journalist gesehen. | |
Vor Kurzem wandte sich Bulut direkt ans Präsidium für Information. Der | |
Grund für die Verzögerung im Betriebsablauf hatte anscheinend mit der | |
Zeitung zu tun, für die er arbeitet. Zumindest soll ein Mitarbeiter im | |
Präsidium für Information ihm gesagt haben, die Evrensel stehe auf einer | |
internen “Embargoliste“. Darüber schrieb Bulut in der Evrensel, ohne | |
allerdings den Namen seiner Quelle zu nennen. Fahrettin Altun, der | |
Informationspräsident des Präsidiums für Information beim Amt des | |
Staatspräsidenten, bezeichnete Buluts Artikel als eine “finstere Operation“ | |
gegen die Integrität der Behörde. | |
Die Evrensel-Chefredaktion gab gegenüber taz gazete an, dass mehr als 20 | |
ihrer Mitarbeiter*innen keine Presseausweise ausgestellt bekommen haben, | |
obwohl sie alle formellen Anforderungen erfüllt und auch nie eine | |
offizielle Ablehnung erhalten haben. Manche von ihnen warten seit vier | |
Jahren. | |
Gökhan Durmuş ist Vorsitzender der Türkischen Journalistengewerkschaft TGS. | |
Auch sein Presseausweis wird seit Monaten nicht verlängert. “Aus einer | |
Karte, die alle professionellen Journalist*innen bekommen konnten, ist ein | |
Ausweis geworden, der nur an Personen vergeben wird, die eine von der | |
Regierung ernannte Kommission für geeignet hält“, sagt Durmuş. “Die | |
Berufsverbände bestimmen, wer Journalist*in ist und wer nicht. Weltweit | |
sind die Gewerkschaften dafür zuständig. Eine Regierung hat die Aufgabe, | |
einen von der Gewerkschaft ausgestellten Presseausweis anzuerkennen.“ | |
Die Kommunikationswissenschaftlerin Ceren Sözeri bestätigt den Eindruck, | |
dass die Regierung nur ihr genehmen Personen Presseausweise ausstelle. | |
Unter dem neuen System werde der Ausweis “als Belohnung für Leute, die sich | |
still verhalten“ ausgestellt. Der einzige Ausweg sei eine Gesetzesänderung, | |
die wieder den Berufsverbänden das Recht gibt, zu bestimmen, wer zur | |
Berufsgruppe der Journalist*innen gehört und wer nicht. “Dafür müssen die | |
Journalist*innen und ihre Berufsbände sich solidarisch zusammentun und | |
Widerstand leisten“, sagt Sözeri. | |
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny | |
6 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Hayri Demir | |
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