Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Manche werden verschluckt
> Die Welt geht den Bach runter, die Krisensirenen heulen. Der Zustand der
> Gegenwart wird im Monologfestival im Theaterdiscounter unter dem Titel
> „Alarmstufe Rot“ von vielen Seiten betrachtet. Mit dabei Schorsch Kamerun
Bild: Schorsch Kamerun auf dem Monologfestival „Alarmstufe Rot“
Von Annika Glunz
Eine Frau betritt etwas benommen die Bühne. Nackt, bemalt, zersaust. Sie
beginnt, sich anzuziehen, um anschließend mit von Panik verzerrtem Gesicht
quer durch den Theaterdiscounter zu rennen. Im Hintergrund Punkmusik.
Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe stehen die Zeichen auf
Alarm in dieser Welt, in Europa spüren wir sie nur (noch) nicht direkt. Was
tun? Adrienn Bazsó von den NomerMaids schreit „Run, run, run!“ und wirbelt
immer verzweifelter auf der Bühne des ausverkauften Saals hin und her.
„Mutter_f*ing_erde & co“ nennt sich das Stück, das Baszó im Rahmen des
Monologfestivals im Theaterdiscounter performt. Handlungsmöglichkeiten in
einer „klimadepressiven Gegenwart“ soll es zeigen. Losrennen wäre eine
Variante. Schuldzuweisungen eine andere: „Wie könnt ihr es wagen, in den
Spiegel zu sehen, nach allem, was ihr der Erde angetan habt? Wie könnt ihr
es wagen, so weiterzumachen wie bisher?!“, fragt Bazsó. In kurzen
Videosequenzen werden Mädchen befragt, ob sie Angst vor der Zukunft hätten.
„Ich glaube sehr daran, dass Greta noch etwas bewegt“, ist eine Antwort.
Yoga praktizierend widmet sich Baszó anschließend dem „Consumo ergo sum“
westlicher Industrienationen, um von dort aus direkt auf die Optimierung
des eigenen Körpers nach bestimmten Schönheitsidealen zu sprechen zu
kommen. Die Filmsequenz im Hintergrund zeigt Baszó nackt, überall auf die
Haut sind gestrichelte Linien und Pfeile gezeichnet, die aufzeigen sollen,
wo überall etwas nicht passt: zu dick, zu dünn, zu klein, zu groß.
## Den Tränen nahe
Oben an Baszós Fuß sieht man plötzlich eine US-Flagge, dann kriechen unter
ihren Knien kleine Panzer hervor. Nach und nach bedecken immer mehr
symbolische Gegenstände ihren Körper, bis sie am Ende unter ihnen begraben
ist. Den traurigen Höhepunkt ihrer Performance bildet wohl „The World
Famous Mother Earth Song Contest“: In Baszós Version von Louis Armstrongs
„What a wonderful world“ werden im Hintergrund Bilder von brennenden
Wäldern und mit Plastik durchtränkten Meeren gezeigt, deren geballte
Dramatik einem die Tränen in die Augen steigen lässt.
10 Premieren von namhaften Künstler*innen und Newcomern bringt das
Monologfestival im Zeichen der Krise und der Panik zusammen. Showcase Beat
Le Mot kommen mit einem schwarz-weißen, riesigen Ungetüm als Protagonist
ihrer etwa vierzigminütigen Performance mit dem Titel „Alarmstufe Rot ist,
wenn Liebe ist“ in den Theaterdiscounter. Zu Beginn hält sich das aus mit
Stoff überzogenen Luftmatratzen, Schaumstoffteilen, Gymnastikbällen und
Abluftschläuchen bestehende Etwas noch im hinteren Teil der Bühne auf. Dann
beginnt es, sich wabernd zu einer bedrohlich wirkenden Gestalt aufzutürmen
und sich – unter anschwellenden dröhnenden Geräuschen – langsam immer
weiter nach vorn zu bewegen. Dabei macht das Ungetüm vor den ersten
Zuschauerreihen nicht halt: Am Anfang fallen nur einzelne Elemente ins
Publikum, dann beginnt das Ding jedoch, sich über die Zuschauenden
hinwegzuwälzen. Diese versuchen sich zu wehren, stehen auf, drücken es weg.
## … dann auch noch Handke
Manche schmeißen sich mitten in das Ungetüm hinein und werden
„verschluckt“, andere versuchen, sich gegenseitig wieder herauszuziehen.
Die ganze Szenerie wirkt nun überhaupt nicht mehr bedrohlich, sondern im
Gegenteil sehr vergnüglich. Ein Spiel im Kampf gegen das Ungeheuer. Am Ende
verlassen die Darstellenden den Raum – der Applaus gebührt dem Ding.
Zu den Specials des Monologfestivals zählt die Performance „Vom
Handaufhalten in der Dunkelzeit“. Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen
Zitronen und Theatermacher, sitzt an einem Tisch. Darauf: ein Haufen
Zettel, ein Smartphone, zwei Flaschen Bier. Daneben: Zwei Regenschirme und
eine Kamera, die den Tisch in der Seitenansicht auf eine Leinwand hinter
ihm projiziert. Kamerun hält einen Monolog im klassischen Sinne: Er redet
über Krisenbeschwörungen und „nützliche Katastrophen“ und fordert das
Publikum ausdrücklich zum Mitmachen auf. Er stellt einen Songtext mit dem
Titel „Schwuler Mercedes“ vor, in dem es um Guerilla-Marketing geht.
Ein anderer Text über „Das Volk“ endet beim testweisen Bau einer Mauer. Die
Texte untermalt Kamerun jeweils mit einzelnen Tönen aus
Musikinstrumenten-Apps, was nicht gut funktioniert, weil es albern wirkt
und vom Text ablenkt.
Kamerun erläutert alles: Entstehungsprozess der Texte, Umstände damals im
Vergleich zu heute, sein eigenes Aufgeregtsein auf der Bühne. Als er dem
schon etwas angestrengt dreinblickenden Publikum eröffnet, der Rest der
Performance werde nun mit Handke zu tun haben, rufen einige „Nein!“, und
eine Zuschauerin verlässt den Raum.
Kamerun führt trotzdem weiter über Handke aus und gelangt am Ende zu
folgendem Text: „Es wird bald wieder Krieg geben, dieser Frieden ist faul.
Faul wie ein Lebensmittel ohne täglichen Gebrauch.“
Monologfestival Alarmstufe Rot, bis 24. November im Theaterdiscounter,
Klosterstraße 44
19 Nov 2019
## AUTOREN
Annika Glunz
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.