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# taz.de -- Chill mal dein Leben
> Was machen die drei älteren Herren da? Kindermusik! Das Trio Baked Beans
> erzählt, was es mit diesem unterschätzten Genre erlebt hat und spielt am
> Sonntagmittag im Milchsalon des Privatclubs
Bild: Mit Bohnen in den Ohren: Ramin Bijan, Maurice Summen, Johannes von Weizs�…
Von Annika Glunz
„Alle meine Entchen“ oder „Backe, backe Kuchen“: Mal ehrlich, die meist…
Lieder dieser Art fand man schon in der eigenen Kindheit monoton. Gut also,
dass sich Kindermusik stilistisch erneuert hat und nicht mehr auf Rolf
Zuckowski beschränkt. Zahlreiche Bands und Künstler*innen produzieren nun
Kindermusik, die auch Erwachsene aushalten – unter anderem Fettes Brot,
Bela B von den Ärzten und die Rapperin Sookee.
Auf dem Sampler „Unter meinem Bett“ probieren sich seit einigen Jahren
Künstler wie Gisbert zu Knyphausen und Bernd Begemann als
Kinderliedinterpreten aus. Nun hat auch die Berliner Band Baked Beans ihren
Hut in den Ring geworfen und ihr Debüt veröffentlicht. Maurice Summen, Chef
des Labels Staatsakt und Sänger der Gruppe Die Türen, sein Bandkollege
Ramin Bijan und Johannes von Weizsäcker von den Bands The Chap und Erfolg
tragen auf Konzerten Bohnendosen-Kostüme und spielen auf dem Album „Hast du
Bohnen auf den Ohren?“ Postpunk, versetzt mit Krautrock – und manchmal
einer Prise Schlager. Ihre Texte handeln von Übelkeit, wegen des Verzehrs
zu vieler Süßigkeiten, den Abschied von der Kita oder Experimenten mit
Strom. Themen aus der Alltagswelt. Zwei der drei Baked Beans erklären sie
so.
„Kindermusik zu machen, schafft einen Ort des Austauschs über Kinderthemen,
worüber ich ja sonst mit meinen Musikerkollegen nicht so spreche“, sagt
Ramin Bijan. „Kinder zu haben, ist eine Quelle von tausend Geschichten.“
Johannes von Weizsäcker erzählt, für ihn sei die Arbeit mit Baked Beans
befreiend gewesen, weil sich niemand einen Masterplan zurecht gelegt habe.
„Im Studio haben wir einfach mal drauflosgespielt. Es war nicht viel Zeit“,
sagt er. Zeitmangel: ein typisches Elternthema wiederum.
Bijan glaubt, in traditionellen Kinderliedern werde den Kleinen zu wenig
zugetraut. „Vielleicht ist es ein Phänomen der westlichen Welt, dass
Kinderlieder extrem simple Melodien haben.“ Wenn Kids in einem musikalisch
anders geprägten Kulturkreis aufwachsen, seien sie von Anfang an
komplexeren Rhythmen und Melodien ausgesetzt als dem wohlbekannten „Alle
meine Entchen“. „Bei spezifischer Kindermusik geht es wahrscheinlich am
ehesten um die Texte. Die sind immer harmlos und handeln von der
Alltagswelt der Kinder“, sagt von Weizsäcker. Per se gibt es aber keine
Definition von Kindermusik, da sind sich beide einig.
## Ein polyphones Entwicklungsland
Polyphone Kindermusik ist in Deutschland relativ jung. Die meisten Alben
dieser Art sind erst in den letzten zehn Jahren entstanden. Warum
eigentlich? „Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die in Indie-Bands
gespielt haben, irgendwann Kinder bekommen und diese Themen und
Lebenswelten in ihre Bands getragen haben“, sagt Bijan. „Vielleicht waren
viele auch schlichtweg genervt von der Kindermusik, die es bis dato gab.
Deutschland ist popmusikmäßig immer ein Entwicklungsland gewesen.“
2019 haben die Baked Beans ihre ersten Konzerte gespielt – und sind dabei
auf eine Herausforderung gestoßen. „Paradoxerweise ist das Spielen in einer
Kinderband im Grunde ziemlich familienfeindlich, weil man immer nur am
Wochenende auftreten kann“, sagt von Weizsäcker. Bijan erzählt, dass die
Band auf ihren Konzerten erst lerne, mit dem jungen Publikum umzugehen.
„Kinder haben noch keine Selbstwahrnehmung. Wir beobachten oft das
Phänomen, dass sie uns anstarren wie vom Auto angefahren und sich fragen:
Was machen diese drei älteren Männer da? Am Anfang ist das total seltsam.“
Dadurch komme man in Situationen, die man noch nie erlebt habe – „völlig
bizarre Erlebnisse, an denen man plötzlich teilnimmt“, sagt von Weizsäcker.
Er erinnert sich an ein Konzert in Chemnitz. Dort sollten sie unter der
Karl-Marx-Büste spielen, an der an dem Tag eine Kinderveranstaltung gebucht
war. Allerdings fanden rechts und links der Bühne jeweils Demonstration
statt, eine von Rechten und eine von Linken. Dazwischen viel Polizei. „Der
Platz war komplett ausgestorben, weil die Polizei keinen durchgelassen
hat“, sagt von Weizsäcker. „Einige Familien mit Kindern haben sich
natürlich nicht dazwischen getraut. Und in dem Augenblick, in dem wir
anfangen, unseren ersten Song ‚Chill mal dein Leben‘ zu spielen, wird
gerade ein Rechter im Schwitzkasten von ungefähr zwölf Polizisten vor
unserer Bühne weggezogen. Wir haben noch gesehen, wie er sich zu uns
umgedreht hat. Was er da sah, waren drei Typen in Bohnendosen-Kostümen, die
ihm gesungen haben: ‚Chill mal dein Leben, stell dich nicht so an‘“.
Im Anschluss seien noch zwei Damen gekommen, die Merchandising gekauft
haben. Ihnen sei offenbar nicht bewusst gewesen, dass sie es mit einer
Kinderband zu tun haben. „Die dachten, wir seien ein Kunstprojekt. Seltsame
Ebenen, die sich da völlig falsch ineinander verzahnt haben“, sagt von
Weizsäcker. Auch das könnte gute Kindermusik auszeichnen: dass sie auch in
der Erwachsenenwelt Wirkung zeigt.
Baked Beans live am 17. 11. um 12 Uhr im Milchsalon des Privatclubs,
Skalitzerstr. 85/86, Kreuzberg
15 Nov 2019
## AUTOREN
Annika Glunz
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