# taz.de -- Die Reise, die zur Flucht wurde | |
> Ein Gefühl von Selbstinszenierung: Der chinesische Künstler Ai Weiwei | |
> stellte am Dienstag in der Kulturbrauerei bei einem Podiumsgespräch der | |
> Friedrich-Naumann-Stiftung sein Buch „Manifest ohne Grenzen“ vor | |
Bild: Ai Weiwei zu Besuch am Flüchtlingslager an der griechisch-mazedonischen … | |
Von Jan Bykowski | |
Für Ai Weiwei spielt die Sprache eine besondere Rolle. Wer mit anderen eine | |
gemeinsame Sprache spricht, der gehört zu ihrer Gemeinschaft. Wer sie nicht | |
spricht, bleibt ausgeschlossen. Ein Gefühl, das er in Berlin erlebt hat, | |
wie er am Dienstagabend in der Kulturbrauerei bei einem Podiumsgespräch der | |
Friedrich-Naumann-Stiftung beschreibt. Anlass ist die Vorstellung seines | |
Buchs „Manifest ohne Grenzen“. Mit dem Mittel der Sprache reflektiert der | |
Multi-Künstler hierin Flucht und Geflüchtete. Ein Thema, das spätestens | |
seit seiner Ankunft in Berlin zentral für seine Arbeit geworden ist. | |
In dieser Stadt kam er 2015 an, als er nach Haft und Reiseverbot endlich | |
China verlassen konnte. Nicht erst seitdem sieht er sich als Geflüchteten, | |
das ist er schon seit seiner Jugend. Als Sohn des Dichters Ai Quing folgte | |
er seinem Vater in die Verbannung in den äußersten Nordwesten Chinas. In | |
der Kunst fand Ai Weiwei damals eine innere Fluchtmöglichkeit. | |
## Fehlende Verbundenheit | |
Seither ist er auf der Reise, wie er es nennt. Zurück in Peking, ab 1981 in | |
New York, bevor er abermals nach Peking zurückkehrte. Spätestens in Berlin | |
aber wurde aus der Reise sein Thema der Flucht. 2017 setzte er mit seinem | |
Film „The Human Flow“ ein beachtetes Ausrufezeichen dahinter. Und nahm ihm | |
leider wieder einiges an Glaubwürdigkeit. Am Strand nahe Bodrum ließ sich | |
Ai Weiwei in der Haltung fotografieren, in der 2015 an gleicher Stelle der | |
Körper von Alan Kurdi gefunden wurde. Der Junge war im Alter von drei | |
Jahren auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken. | |
Das Bild der Fotografin Nilüfer Demir wurde eines der einflussreichsten | |
Fotos der letzten Jahrzehnte. Diese Selbstinszenierung brachte Ai Weiwei | |
den Vorwurf der Eitelkeit ein. Er versteht bis heute nicht, dass dieses | |
Bild als Publicity auf Kosten des toten Alan aufgefasst wird. | |
Den Eindruck der Selbstinszenierung kann er auch an diesem Abend in der | |
Kulturbrauerei nicht abstreifen. Wenn er die Bedeutung der Sprache betont, | |
wirkt es wie ein gesuchtes Bild, dass eine Übersetzerin mit auf der Bühne | |
sitzt. Denn sie bleibt arbeitslos, während er ihre Rolle einer gemeinsamen | |
Sprache für die Verbundenheit mit einer Gesellschaft betont – durchgehend | |
auf Englisch gesprochen. | |
Ursprünglich sollte die Übersetzerin den Wunsch des Künstlers ermöglichen, | |
das Gespräch in seiner Muttersprache zu führen, was die fehlende | |
Verbundenheit durch eine gemeinsame Sprache unterstrichen hätte. Eine | |
Verbundenheit, die er in Deutschland nicht mehr spüre, weswegen er nach | |
Cambridge weitergezogen ist. | |
Englisch kann er und spricht in dieser Sprache auch mit der Journalistin | |
Gisela Mahlmann und mit Markus Löning, dem ehemaligen | |
FDP-Bundestagsabgeordneten und früheren Beauftragten der Bundesregierung | |
für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Seine Muttersprache spielt | |
auch in der Entstehung des Buchs eine Rolle – 184 Seiten, von denen die | |
ungeraden Fließtext tragen und die geraden leer oder kalligrafiert sind. | |
Auf Chinesisch hatte er seine Reflexionen formuliert, bevor sie für das in | |
deutscher Sprache erschienene Buch übersetzt und vor der Veröffentlichung | |
für die Abnahme durch den Autor noch einmal ins Englische übertragen | |
wurden. Was von Herausgeber Peter Felixberger als Beispiel typisch | |
deutscher Akkuratesse geschildert wird, lässt zwar eher Unschärfe durch | |
einen Stille-Post-Effekt befürchten, aber es passt gerade so schön ins Bild | |
vom Deutschen. | |
Ai Weiweis Gedanken zum Umgang mit Geflüchteten, über die Notwendigkeit, | |
sie als Menschen zu achten, und über die zumeist vertanen Chancen, von | |
ihnen zu lernen, sind richtig und wichtig. Jedoch braucht Ai Weiweis | |
Position keine Inszenierung. Man glaubt ihm seinen Neid auf Angela Merkel, | |
die regelmäßig nach Peking reisen kann, und auf Emmanuel Macron, der mit | |
Pomp die Filiale des Centre Pompidou in Schanghai eröffnet, während ihm | |
seine 86-jährige Mutter besorgt untersagt, sie in China zu besuchen. | |
Dass seine Position immer dringender wird, belegen auch die Zahlen. Waren | |
es zur Ankündigung seines Films „The Human Flow“ 2017 noch 65 Millionen | |
Menschen auf der Welt, die ihre Heimat wegen Hunger, Klimawandel oder Krieg | |
verlassen mussten, sind es 2019 zur Ankündigung des „Manifests ohne | |
Grenzen“ bereits 70 Millionen. Ist es dann vielleicht eine gute Eitelkeit, | |
wenn er durch seine Popularität, von der wiederum kokett er nichts hören | |
will, Aufmerksamkeit darauf lenkt? | |
7 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Bykowski | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |