| # taz.de -- Die Allianzen, die es jetzt braucht | |
| > Eine Diskussion an der Akademie der Künste widmet sich jüdischer | |
| > Identität – und der Frage, was aus Halle folgen muss | |
| Von Annika Glunz | |
| „Wir wollen uns doch nicht von einem Nazi diktieren lassen, über was wir | |
| reden“: Mit diesen Worten Max Czolleks eröffnete Jeanine Meerapfel, | |
| Regisseurin, Drehbuchautorin und Akademie-Präsidentin, den Abend zum Thema | |
| „Desintegration und Empathie – über jüdische Identitäten und Reaktionen … | |
| Antisemitismus und Fremdenhass“ in der Akademie der Künste. Und tatsächlich | |
| sprach Meerapfel mit dem Schriftsteller und Lyriker Czollek und der | |
| bildenden Künstlerin Anna Schapiro zunächst hauptsächlich über deren Arbeit | |
| – und ließ den Anschlag von Halle außen vor. Schapiro ist Mitgründerin und | |
| -herausgeberin des Magazins Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart, sie | |
| hat zudem das Ministerium für Mitgefühl mitinitiiert. Zum Anspruch dieses | |
| „Ministeriums“ sagte sie: „Wir wollen Menschen miteinander ins Gespräch | |
| bringen, die das sonst nicht wären. Dafür gibt es eine Sprechstunde mit | |
| Ministerinnen, die ganz bestimmten Methoden folgt.“ | |
| Czollek hat vergangenes Jahr die Streitschrift „Desintegriert euch!“ | |
| geschrieben, und daran knüpfte er am Mittwochabend auch an. Bezogen auf die | |
| Wahlergebnisse aus Thüringen bemerke er ein „Ritual“: „Immer mehr Leute | |
| wählen die AfD, und immer wieder wird geraten, mehr zu reden. Dabei wird | |
| die massive Bedrohung verharmlost, die von der Neuen Rechten ausgeht. Die | |
| Menschen verfallen einer Selbsttäuschung, die auf der Konstruktion ihres | |
| Selbstbildes der ‚guten Deutschen‘ beruht.“ Dahinter stehe die Befürchtu… | |
| dass Disharmonie keine Grundlage für eine gut funktionierende Gesellschaft | |
| sei: „Dabei ist Streit so wichtig. Es gibt diese Harmonie nicht.“ | |
| ## Jom Kippur und das Buch des Lebens | |
| Künstlerin Anna Schapiro erklärt im Gespräch, sie habe das Judentum | |
| eigentlich nie thematisiert, verstehe sich aber als „jüdische Künstlerin“. | |
| – „Wir kommen aus den Selbstzuschreibungen nicht raus“, so Meerapfels | |
| Antwort. Aber man könne Spaß dabei haben, spielerisch mit ihnen umzugehen, | |
| warf Czollek ein. Etwas, das er wohl in seinen Gedichtbänden getan hat: „Es | |
| ist ein künstlerisches Problem, in Klischees zu kippen. Lügen sind eine | |
| wichtige Praxis, wenn man darüber nachdenkt, solchen Zuschreibungen zu | |
| entkommen.“ Schapiro warf ein: „Was mich interessiert, ist die Arbeit. | |
| Zuschreibungen sind eine unintelligente Art und Weise, Ordnung zu schaffen. | |
| Es gibt keine jüdische Identität.“ | |
| Am Ende der Gesprächsrunde war dann doch noch von Halle die Rede. Czollek | |
| appellierte, der Staat müsse endlich durchgreifen und es sollten Taten | |
| folgen: „Der Verfassungsschutz und auch das Militär sind braun durchtränkt | |
| und müssen dringend neu aufgestellt werden. Ich empfinde die jetzige | |
| Situation als eine einseitige Aufkündigung des Schutzversprechens von | |
| staatlicher Seite.“ | |
| Schapiro zeigte sich betroffen: „Freunde von mir waren in Halle, als das | |
| Attentat passierte. Bei Jom Kippur geht es darum, ins Buch des Lebens für | |
| das nächste Jahr eingeschrieben zu werden. Dass ausgerechnet an diesem Tag | |
| so etwas passierte, wird tiefe Spuren hinterlassen haben“, und weiter: „Die | |
| Frage ‚Warum die Juden?‘ impliziert, die Schuld in einem Opfer zu suchen. | |
| Meine Frage lautet vielmehr: Wie können wir zusammenleben, ohne dass | |
| irgendwer Angst haben muss?“ | |
| Vom Publikum angesprochen auf die erfolgte Verstärkung des Polizeischutzes | |
| vor Synagogen, antwortete Czollek: „Jüdisch ist ein sexy Label. Aber sobald | |
| es eine grundsätzlich andere Haltung impliziert, geht es plötzlich auch | |
| ohne. Mir geht es um eine Empathie dafür, dass man sich mitgemeint fühlen | |
| möchte: entweder wir alle oder keiner. Warum ist beispielsweise noch | |
| niemand auf die Idee gekommen, eine postmigrantische Partei zu gründen?“ | |
| Für Anna Schapiro stellt sich nun auch die Frage nach Allianzen: „Wie | |
| schaffen wir es, füreinander den Mund aufzumachen, auch öffentlich? Es geht | |
| auch um bedingungslose Freundschaft.“ | |
| 1 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Glunz | |
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