# taz.de -- Leider anschlussfähig | |
> Rechtsgerichtete Weltanschauung, aufgedröselt in Form von Psychogrammen | |
> und Collagen: Henrike Naumanns Schau „Das Reich“ in Wien | |
Bild: Detail der Ausstellungsansicht „Henrike Naumann. Das Reich“ | |
Von Raimar Stange | |
Mit „theoriegeleiteter Empathie“, so die Soziologin Cornelia Koppetsch, | |
nähere sie sich in ihrem wichtigen Buch „Die Gesellschaft des Zorns“ (2019) | |
dem Rechtspopulismus, um seine Ursachen und „Erfolge“ zu erkennen. Mit | |
„sinnlich geleiteter Empathie“, so könnte man sagen, erkundet die | |
Künstlerin Henrike Naumann, Shootingstar des deutschsprachigen | |
Kunstbetriebs, nun den Rechtsruck, nicht nur in ihrer „Heimat“ | |
Ostdeutschland. | |
Dazu installiert die 1984 in Zwickau geborene Naumann, die in Dresden | |
Bühnenbild studierte, in ihren szenografischen Ausstellungen raumgreifende | |
Inneneinrichtungen, die als Psychogramme rechtsgerichteter Weltanschauung | |
lesbar sind. In ihrer bisher konzentriertesten Einzelausstellung „Das | |
Reich“ am Wiener Belvedere 21 lässt die Künstlerin ihre für die Ausstellung | |
erweiterten Installationen „Anschluss ’90“ (2018) und „Das Reich“ (20… | |
einen spannungsreichen Dialog treten, in dem die kontrafaktische | |
Möglichkeit durchgespielt wird, dass sich Österreich dem wiedervereinten | |
Deutschland, nun regiert von den „Reichsbürgern“, angeschlossen habe. | |
Nach dem Mauerfall 1989 beobachtete Naumann in ihrer Heimatstadt Zwickau, | |
wie Menschen ihre DDR-Möbel auf die Straße stellten, um sich dann neues | |
West-Mobiliar zu kaufen. Solche Möbel nun, stilistisch angesiedelt irgendwo | |
zwischen 1990er-Postmoderne und Billigtrash, arrangiert die Künstlerin in | |
„Das Reich“ zu einer so alltäglichen wie beklemmenden Installation, | |
bestehend zum Beispiel aus archaisch anmutenden Hockern mit Kunstfell, | |
Schrankwänden mit aggressiv daherkommenden Spitzen und Ecken sowie einem | |
Glastisch, auf dem ein Trinkgefäß in Form eines Horns liegt. | |
Details wie letzteres kontaminieren dieses Ambiente, das auf dem ersten | |
Blick an eine typisch deutsche, „spießige“ Inneneinrichtung erinnert, für | |
großdeutsch Gesinnte nachhaltig. Nazi-Devotionalien liegen fein säuberlich | |
aufgebahrt in den Schrankwänden hinter Glas, ein Soldatenhelm, ebenfalls | |
mit Hörner veredelt, thront auf einem Stuhl, in dem düsterem Ensemble | |
findet sich zudem ein Tisch, dessen Fläche die Konturen des Deutschen | |
Reichs nachzeichnet. Dazu kommen im Raum verteilte Monitore, auf denen ein | |
Video zu sehen ist, das das Auftreten der Reichsbürgerbewegung in einer | |
Collage aus elektronisch verfremdeten Found-Footage vorstellt. | |
Redner, durchweg Männer, betonen da die Unrechtmäßigkeit des | |
„Einigungsvertrag“ von 1990, weil in ihm kein, wie im Grundgesetz | |
eigentlich vorgesehen, Friedensvertrag ausgehandelt wurde. Die | |
reichsbürgerliche Konsequenz: Das Deutsche Reich besteht weiterhin, jetzt | |
aber unter alliierter Besatzung. Prompt verweigert ein Reichsbürger der | |
Polizei des „illegalen“ Deutschlands den Zugang zu seinem Haus und | |
beschimpft die Beamten als „Terroristen“. Schnitt, und das Lied „Dieser | |
Weg“ (2005) von Xavier Naidoo ist in einer verlangsamten A-cappella-Version | |
zu hören, ergänzt um Textzeilen wie „blühe deutsches Land…“. Gegengele… | |
wird das Geschehen durch eine Rede Wolfgang Schäubles, der als | |
westdeutscher Innenminister gemeinsam mit Günther Krause, dem | |
Verhandlungsführer der DDR, den Einigungsvertrag unterzeichnete. Schäuble | |
prophezeit damals schon das Ende der Nationalstaaten und die Notwendigkeit | |
einer „internationalen Governance“. | |
Das Mobiliar der Installation „Anschluss ’90“ hat Naumann in Möbelläden… | |
Österreich erstanden, es ähnelt dem aus „Das Reich“ in signifikanter Weis… | |
Wieder drückt sich in postmoderner Brachialität eine rückwärtsgewandte | |
Sehnsucht nach völkischer Heimat und einem autoritären Patriarchat aus. | |
Eingangs der Installation hängt ein Neonzeichen, das in bester | |
Werbeeuphorie den „Anschluss ’90“ feiert, unter diesem Slogan nämlich | |
leuchtet da die schwarz-rot-goldene Flagge. Schon der von den | |
Nationalsozialisten 1938 betriebene „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche | |
Reich wurde ja als „Wiedervereinigung“ bezeichnet. Naumann nimmt diesen | |
historischen Faden auf und propagiert im Kontext des aktuellen | |
Rechtspopulismus den erweiterten „Anschluss ’90“ nach dem Mauerfall. | |
Beigefügt sind der Installation im Belvedere 21 die beiden Videoarbeiten | |
„Amnesia“ (2012) und „Terror“ (2012). | |
„Amnesia“ zeigt, wie vier Jugendliche, drei Jungen und ein Mädchen, nach | |
Ibiza reisen – die Präsentation jetzt spielt natürlich auf die | |
„Ibiza-Affäre“ des österreichischen FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strac… | |
an –, um dort in dem angesagten Club Amnesia zu tanzen und zu trinken. In | |
„Terror“ sind drei der selben vier Jugendliche in Jena zu sehen, sie filmen | |
sich selbst in einem Neonazi-Jugendzimmer, in dem eine Reichsflagge hängt, | |
aber auch Plüschtiere auf dem Bett liegen, einer der Jungen schreit „Sieg | |
Heil!“. Anschließend bricht das Trio in eine leere Schule ein, sie suchen | |
intimen Körperkontakt, stattdessen aber gelingt ihnen nur eine spielerische | |
Rauferei. Die letzte Szene zeigt vier zu einem Hakenkreuz zusammengelegte | |
Pistolen. | |
Statt Hedonismus, wie bei „Amnesia“, steht hier die Radikalisierung der | |
Gruppe im Fokus, hervorgerufen durch die Unmöglichkeit von Liebe. Eben | |
dadurch erinnert dieser „Terror“ arg an die Textzeile „Weil du Schiss vorm | |
Schmusen hast, bist du ein Faschist“ aus dem Ärzte-Song „Schrei nach Liebe… | |
(1993). Mit einem plumpen Psychologisieren wie diesem macht es sich Naumann | |
ausnahmsweise mal zu einfach. | |
Bis 12. Januar 2020, Belvedere 21, Wien | |
1 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Raimar Stange | |
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