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# taz.de -- Bunter. Lauter
> Stadt heißt ein Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, Schlafen und Clubs:
> Das erzeugt eigene Klang- und Wahrnehmungsqualitäten. Die einen zu laut,
> die anderen zu still? Und am Ende kommt die Polizei
Bild: Leben mit der Party: der Holzmarkt an der Spree
Von Anselm Lenz
Es geht um den Klang unserer sich beschleunigt verändernden Stadt.
Einerseits ist da zum Beispiel der Erlebnisdruck der Feierlustigen, draußen
vor der Tür und in den vibrierenden Clubs. Andererseits das Ruhebedürfnis
der bereits Angekommenen und Eingesessenen. Die klagen aus ihrer Festung:
Warum so laut?
So stehen auch Etablissements, Clubs genannt, gegen die Etablierten. Und am
Ende ruft irgendjemand immer wieder die Polizei an, die beim Nebeneinander
von Wohnen und Gewerbe, seit jeher Ausweis des Städtischen, für Ruhe sorgen
soll.
Vereint sind sie alle in der Stadt der Spätmoderne schlechthin, hier, wo
die Klänge einer schmerzhaft verhallenden Phase des Industriezeitalters
noch als Spektakel oder Kunstmusik gespielt werden. Zum maschinellen Sound
steht die Maschine still. Die gewachsene Produktivität hat sich in
fuchtelnde Arme übersetzt, die Musik spielt endlos für das aus der Fabrik
befreite Individuum. Auch draußen vor der Tür werden Gesten und Geräusche
ausgetauscht. Wie es so Sache des Menschen ist, spielen Sexualitäten eine
große Rolle. Das ist das Movens des Spiels der Nacht in seiner ganzen
notwendigen, aggressiv befriedenden Dysfunktionalität.
So verwundert es wenig, dass der CDU-Mann Christian Goiny, im Berliner
Abgeordnetenhaus Sprecher für Haushalt und Medien, gegen eine
protestantische Askese zu Felde zieht, die das Wummern und Schäkern am
liebsten ganz weghaben möchte. Es war mit Heinz Zellermayer bereits im Jahr
1949 ein CDUler und Kneipenwirt, der damals im amerikanischen Sektor die
Aufhebung der Sperrstunde bewirkte. Goiny fordert heute, Clubs künftig als
„Anlage für kulturelle und sportliche Zwecke“ einzustufen – und den
Kulturlärm damit rechtlich aufzuwerten.
Pamela Schobeß, Betreiberin des für Qualität bei Jazz und verfeinerter
elektronischer Musik bekannten Clubs Gretchen und außerdem Vorsitzende der
Berliner Clubcommission, beruft sich auch auf die wirtschaftliche Zugkraft
der Berliner Clubs: „Große Firmen kommen nach Berlin, weil sie hier besser
junge Leute anstellen können.“
Doch die erste Qualität von Kultur ist eben gerade nicht ihre
Verwertbarkeit. Die Verheißung der weltbekannten Berliner Clubnacht an das
Individuum lautet: Bis zum Morgengrauen können die Widersprüche einer
schmerzhaften Epoche verrauschen! Getauscht wird bei uns nicht (nur) die
Ware, sondern das Gut, bereitgestellt in Form einer zutiefst romantischen
Clubgemeinschaft für eine oder auch mal zwei utopische Nächte!
Bei der Frage nach dem Mehrwert der Clubs für die Stadtgemeinschaft ist
indes sogar der beliebte und streitbare grüne Baustadtrat von
Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt zuletzt im Fall des Holzmarkts in
die Defensive geraten. Die Macher*innen des Behaglichkeit und Coolness
verströmenden Freizeitviertels an der Spree betrieben dort mit der Bar 25
einst den nach dem Tacheles berühmtesten Ort, der für das spätmoderne
Berlin stand: Kunsthandwerk, Klänge von Crushed Ice und Digitalität,
anglophone Toleranz und neuhippieske Versöhnlichkeit.
Der Experte für auditive Stadtplanung und Architektur Thomas Kusitzky will
den Klang zunächst als ein Wahrnehmungsphänomen, nicht als Schallmessung
verstanden wissen. Der frühere Jazzbassist und Lehrbeauftragte an der
Universität der Künste erinnert auf die Frage der taz zum Thema an die
Gestaltbarkeit des Urbanen.
Interessant sei die Topografie des Klangs als Ressource: „Klang ist aber,
bis auf die Vermeidungsperspektive, bislang viel zu selten Gegenstand
städtischer Gestaltung.“
Kusitzky selbst ist mit seiner kleinen Familie vor Kurzem aus Kreuzberg in
eine ruhige Familiensiedlung in Tempelhof gezogen. „Aber nur“, sagt er,
„weil wir in Kreuzberg im sechsten Stock wohnten. Und weil das hier jetzt
besser zu unserer Lebensphase passt.“ Das Gegenteil von Lärm sei
keinesfalls Stille. Das Vogelgezwitscher und die einzelnen Geräusche der
Siedlung empfinde er manchmal sogar als „fast verrückter als Kreuzberg“.
Ungleichzeitigkeiten und wachsende Ungleichheiten der nach wie vor
ungebremst gentrifizierten Stadt erzeugen nicht nur einen kontrastierenden
Sound, sondern werfen auch zu beantwortende Fragen auf: Wenn wir zu laut
sind, seid ihr zu still? Sind die zentralen Viertel einer Stadt eher für
die Jungen oder für die Alten? Für die mit Kindern oder jene, die erst noch
welche machen wollen oder auch nicht? Kann ich umziehen, wenn es mir zu
laut wird – oder wird es dann viel zu teuer?
Demgegenüber: Wo kann mensch hingehen, wenn er der Ansicht ist, dass das
Wipfelrauschen alter Eichen, klackernde Eierlikörgläschen auf Balkonen,
Schreiorgien auf der großen Schüttelrampe, rasselnde Supermarktwagen und
dazu die Staus auf den Straßen einfach nicht die Klangkulisse sind, die ihm
gerade eine glaubwürdige Hoffnung für sein eigenes Leben verheißen? – Wof�…
leben wir in einer Stadt zusammen?
[1][Wenn der Nachbar lärmt]: Clubs in der Stadt 44–45
26 Oct 2019
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## AUTOREN
Anselm Lenz
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