# taz.de -- „Es fehlte die Gewaltenteilung“ | |
> Die Ursache der 737-Max-Krise bei Boeing seien Probleme in der | |
> Firmenkultur, sagt der ehemalige Firmensprecher Heinrich Großbongardt. | |
> Man habe zu viel auf die Zahlen und zu wenig auf die Technik geschaut | |
Bild: „Schwieriger als eine Rakete auf den Mond zu schießen“: Boeing 737 M… | |
Interview Felix Lee | |
taz: Herr Großbongardt, nach den zwei Abstürzen der Boeing 737 Max in | |
Indonesien und Äthiopien gilt seit März ein weltweites Flugverbot für | |
Maschinen dieses Typs. Nun meldet Boeing die Halbierung seines Gewinns. Ist | |
abzusehen, wann sich Boeing von der 737-Max-Krise erholen? | |
Heinrich Großbongardt: Nein, nicht wirklich. Für Boeing sieht es derzeit | |
nicht gut aus: die Schadenersatzforderungen der Fluggesellschaften, die | |
enormen Kosten, die verbunden sind mit der Einlagerung der Flugzeuge, die | |
jetzt irgendwo parken müssen. Außerdem ist auch weiter nicht klar, welche | |
technischen Änderungen überhaupt vorgenommen werden müssen. Angesichts der | |
Menge an Flugzeugen, um die es geht, wird das ebenfalls enorme Kosten | |
verursachen. | |
Ist diese Krise für Boeing eine Zäsur oder bloß eine Panne, wie es sie in | |
der Geschichte der Linienflugzeuge immer wieder gegeben hat? | |
Das Vertrauen ist angeknackst. Aber ich bin mir sicher, dass es sich | |
wiederherstellen lässt. Sobald die technischen Probleme beseitigt sind – | |
und das wird passieren – und dieses Flugzeug wieder im Einsatz ist, wird | |
das Vertrauen wieder zurückkehren. Ein anderes Problem ist allerdings das | |
Vertrauensverhältnis zwischen Boeing und den Flugsicherheitsbehörden. Das | |
wird sicherlich sehr viel länger brauchen, bis es wieder im Lot ist. | |
Viele werden sich sicherlich nicht mehr in eine 737 Max trauen. Ist der Ruf | |
nicht dauerhaft geschädigt? | |
Das glaube ich nicht. Die 737-Max-Krise erinnert an die Einführung des | |
Airbus 320 Ende der 80er Jahre. Es gab den Absturz von Habsheim, kurze Zeit | |
später den Absturz einer Maschine in Indien und dann noch einen dritten | |
Absturz in der Nähe von Colmar. Diese Unfälle trafen Airbus sehr viel | |
schwerer. Denn Airbus hatte damals noch keine Reputation. Das renkte sich | |
trotzdem ein, weil die Fluggesellschaften Airbus das Vertrauen aussprachen. | |
Das erwarte ich auch hier, sobald sie überzeugt sind, dass die Probleme | |
behoben sind. In Deutschland hatte die Tui mit der Bestellung der 737 nun | |
mal eine Flottenentscheidung getroffen, die sich ohne große Verluste nicht | |
so einfach revidieren ließe. | |
Aktuell häufen sich bei Boeing auch andere Probleme: Qualitätsprobleme in | |
der Fertigung des Dreamliners, Einbau von defekten Triebwerken. | |
Das sind sehr unterschiedliche Probleme. Dass beim 777X bei einem | |
Belastungstest eine Tür herauspoppt, fand kurz vor dem Ende der Prüfphase | |
statt und stellt keinen Grund dar, die Konstruktion generell infrage zu | |
stellen. Anders sieht es bei den Problemen bei der 737 Max aus, die meines | |
Erachtens auf die Unternehmenskultur zurückzuführen sind. Boeing ist in den | |
letzten 20 Jahren auf Quartalszahlen optimiert worden. Das halte ich für | |
ein Problem. | |
Warum? | |
Sorgfalt hängt stark davon ab, ob Mitarbeiter ausreichend Wertschätzung | |
erhalten. Das war in den letzten Jahren nicht mehr der Fall. Ein Grund für | |
die Probleme bei der 737 und beim Dreamliner ist die fehlende | |
Gewaltenteilung. So wie es bei Medien sinnvoll ist, Verlag und Redaktion zu | |
trennen, ist es bei einem Unternehmen wie Boeing sinnvoll, den technischen | |
Bereich von der kaufmännischen Seite zu trennen. Bei Boeing ist eine Kultur | |
entstanden, die immer stärker kaufmännisch getrieben wurde. Beim Dreamliner | |
hat sich Boeing auf das Abenteuer eingelassen, ein Großteil der Entwicklung | |
an Fremdfirmen auszulagern. Die Ingenieure warnten, dass das auf Kosten der | |
Qualität und damit der Sicherheit gehe. Finanzleute jedoch haben gesagt: | |
Warum? Das machen Autokonzerne doch auch. Diese Gewaltenteilung hat Boeing | |
nun wieder eingeführt. | |
Kann Airbus von den Problemen bei Boeing profitieren? | |
Nein. Keiner der beiden Hersteller ist derzeit in der Lage, die hohe | |
Nachfrage nach Flugzeugen zu bedienen. Wenn sich jetzt eine | |
Fluggesellschaft meldet und sagt: Wir wollen keine 737 mehr, sondern eine A | |
320, dann muss sie sich hinten anstellen. Auch Airbus ist die nächsten | |
sieben Jahre ausgebucht. | |
Ist Konkurrenz nicht im Anmarsch, etwa aus China? | |
Nein, zumindest nicht im kommenden Jahrzehnt. Auch die Chinesen werden es | |
wegen der hohen Sicherheitsbestimmungen so schnell nicht hinbekommen, | |
vergleichbare Flugzeuge wie die von Boeing oder Airbus herzustellen. | |
Technisch sind Flugzeuge so ziemlich die komplexesten Serienprodukte | |
überhaupt. Das ist schwieriger, als eine Rakete auf den Mond zu schießen. | |
30 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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