# taz.de -- Keine Zeit für Behördenwillkür | |
> Ein blinder Syrer floh vor der Abschiebung ins Kirchenasyl. Jetzt kann er | |
> vorerst bleiben – und studieren | |
Von Oliver Kontny | |
Nach sechs Wochen im Kirchenasyl kann Mheddin Saho sich wieder durch den | |
öffentlichen Raum bewegen. Unbeirrt geht der blinde Syrer seinem Ziel nach | |
und pendelt von dem kleinen Ort in Niederbayern aus, der ihm Zuflucht | |
geboten hat, in die Münchner Maxvorstadt. Seit Beginn des Wintersemesters | |
besucht Saho an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Seminare. | |
Er will hier seinen Master machen und an der Entwicklung neuer Methoden zum | |
Spracherwerb bei blinden Menschen mitarbeiten. | |
Da Saho aus der Türkei über Spanien nach Deutschland eingereist war, sollte | |
er im Sommer aufgrund des Dublin-Verfahrens nach Barcelona überstellt | |
werden. Humanitäre Gründe, die einen Verbleib in Deutschland zu | |
Studienzwecken erfordern, wollten weder das Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge (Bamf) noch das Regensburger Verwaltungsgericht gelten lassen. | |
Einen Tag vor dem zweiten Rückführungstermin ging Saho deshalb am 21. | |
August in Rottenburg ins Kirchenasyl. Das eingereichte Härtefalldossier | |
wurde zwar am 17. September abgelehnt, gleichzeitig setzte allerdings das | |
Bamf die Vollziehung der Rückführung aus. Nun muss das Regensburger | |
Verwaltungsgericht mündlich verhandeln, ob ein Blinder nach Spanien | |
überstellt werden kann. Rottenburger Christ*innen haben Unterschriften | |
gesammelt und eine Petition beim Bundesinnenminister eingereicht. Die liegt | |
im Ministerium allerdings noch auf dem Stapel unbearbeiteter Papiere. | |
Bis das Gericht tagt, hat Saho eine Aufenthaltsgestattung und einen | |
Schwerbehindertenausweis. Damit kann er an der LMU studieren. Mit dem | |
Semesterticket ist der blinde Student teilweise bis zu vier Stunden | |
unterwegs, um die Distanz zwischen dem Haus seiner Betreuerfamilie in | |
Rottenburg und der Uni zurückzulegen. Ein Platz in einem Münchner Wohnheim | |
für Studierende mit besonderen Bedürfnissen ist noch zu teuer, solange die | |
Behörden jeden Tag erneut die Ausreise nach Spanien anordnen können. Schon | |
die fürs Studium notwendige Krankenversicherung übernimmt das Sozialamt bei | |
einem Asylbewerber nicht. | |
Am 7. November soll Saho gemeinsam mit Mitstudierenden sein erstes Referat | |
halten. „Die ersten Wochen an der Uni liefen ganz wunderbar“, sagt Saho. | |
„Da will ich einfach nicht die ganze Zeit über meinen unsicheren Status | |
nachdenken müssen.“ Er hat Besseres zu tun, als sich der Behördenwillkür zu | |
beugen. Deshalb überlässt er es seinem Anwalt, sich mit der Bundespolizei | |
auseinanderzusetzen. Die unterrichtete am 17. Oktober die Betreuerfamilie | |
über ein Ermittlungsverfahren gegen Saho. Er steht im Verdacht, sich ohne | |
Aufenthaltstitel unerlaubt am Münchner Flughafen aufgehalten zu haben. Und | |
zwar am 22. Juli 2019. Als Tatzeitraum wird 8.55 Uhr bis 10.55 Uhr | |
angegeben. Vermutlich sind die Beamten, die ihn dort gesehen haben wollen, | |
zuverlässige Zeugen. Denn an jenem Morgen brachten sie ihn aus Rottenburg | |
zum Flughafen, um ihn gegen seinen Willen in eine Maschine nach Barcelona | |
zu setzen. Da Saho jedoch Panik bekam und der Pilot sich weigerte, ihn | |
mitzunehmen, verließ er dann das deutsche Staatsgebiet doch nicht pünktlich | |
um 10.55 Uhr. | |
28 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Oliver Kontny | |
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