Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Befreit von Kirchenmuff
> Chorkonzert im Klunckerkranich Neukölln. Vier Chöre sangen da unter dem
> Motto Chorgasmus Lieder aus den 80ern, 90ern und von heute – knallig,
> lebhaft
Von Boris Messing
Fällt das Wort Chor, hat man im ersten Augenblick womöglich das Bild einer
Gruppe adrett gekleideter Damen und Herren im Kopf, die mit geradem Rücken
und zu einem O geformten Mund deutsches Liedgut trällern. Klassik,
Kirchenmusik, vielleicht auch Gospel. Chöre sind seit Jahrhunderten in
unserer Gesellschaft verankert, das gemeinsame Singen zieht sich durch die
Zeit wie ein Bandwurm. Aber seit der Gründung der Regensburger Domspatzen
im Jahre 975 des Herrn hat sich viel geändert.
Eine Kostprobe von Chormusik, befreit von Kirchenmuff und
Weihnachtsambiente, konnte man am Samstag im Klunkerkranich erleben. Vier
Chöre sangen da unter dem Motto Chorgasmus Lieder aus den 80ern, 90ern und
von heute – knallig, lebhaft und, ja, lasziv. Gekleidet in Leggins,
Blazern, Westen, in Ponchos und Paillettenkleidern, verführten sie,
erotisch rhythmisch, das Publikum zum Mitsingen und sorgten für eine im
wahrsten Sinne heiße Stimmung. Die Menschen standen dicht gedrängt und
schweißgebadet im Klunkerkranich, wo bereits um 18.30 Uhr keiner mehr
reinkam. Johann Kruschwitz, Chorleiter des Projekts Kiezchor, der das Event
ins Leben rief, nennt es eine „gelungene Veranstaltung“. Ziel der
Chorversammlung sei es auch gewesen, „den Kiez zusammenzubringen“ und
abseits des Mainstreams eine Alternative zu schaffen.
Seit der Eröffnung des Klunkerkranichs im Jahr 2013 auf dem obersten
Stockwerk des Parkdecks der Neuköllner Arkaden hat sich das Etablissement
zu einem wahren Touristenmagneten entwickelt. Das liegt auch an der
Erwähnung im Lonely Planet. Der Klunkerkranich bietet nicht nur eine
wunderbare Aussicht auf Berlin, sondern ist für viele Touristen das, was
sie sich unter einer Party im Berlinstyle vorstellen. Drapierter Stoff, der
von den Wänden hängt, Discokugeln und buntes Glitzerzeug, Stehlampen wie
von Oma und bemalte Wände – eine Mischung aus Wohnzimmeratmosphäre und
Räuber Hotzenplotz. Berlin eben, laisser faire, hip (und manchmal hopp).
Doch dieses Mal war das Publikum durchmischter als sonst, Touristen und
Berliner in spaßiger Symbiose. Gemeinsam eröffneten alle vier Chöre mit
Take on me und Happy von Pharrell Williams das Konzert. Im Anschluss sang
die Berliner-Vocalisten-Gemeinschaft draußen auf dem Deck bei einem
blutorangen Sonnenuntergang. Mit dem Chor Liedertafel Bianca Castafiore –
Schlager und gesellschaftskritische Lieder – ging es dann drinnen weiter.
Mit besonders viel Leidenschaft heizte der Heart-Chor mit Covern und
eigenen Songs dem Publikum ein. Als beim „Nipple-Song“ plötzlich alle ihre
Brüste zeigten, zog ein Jubeln durch die Menge. Danilo Timm, der aus
Brasilien stammende charismatische Leiter des Heart-Chors, begleitete das
Ensemble auf der Gitarre und animierte seine Leute zu laszivem Hüftschwung.
An die 30 Auftritte hatten sie bereits in diesem Jahr und sangen auch schon
auf der Fusion und dem Garbicz Festival.
Das große Finale kam aber vom Projekt Kiezchor, dessen mehr als
sympathische Sängerinnen und Sänger klug arrangierte Lieder zum Besten
gaben. Vor allem durch peppige und gefühlvolle Medleys, beispielsweise
„Jein“ von Fettes Brot in Kombination mit „Liebeslied“ von den Absoluten
Beginnern, beeindruckten sie das Publikum. Madonna, George Michael,
Backstreet Boys – für viele war es auch eine Reise in ihre Jugendzeit.
Begleitet wurden die Lieder oft von Percussion. Für alle am Ende eine
erfüllende Nacht, die sich mit dem DJ-Duo Tonverein Rixdorf noch eine ganze
Weile hinzog. „Das wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass wir so was
gemeinsam machen“, sagte Johann Kruschwitz am Ende noch erschöpft, aber
glücklich. Die Leute hätten es gefeiert. Oder, wie es einer der Gäste auf
den Punkt brachte: „Chorgasmus pur!“.
28 Oct 2019
## AUTOREN
Boris Messing
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.