# taz.de -- Nachhilfe braucht dringend Nachhilfe | |
> Schüler helfen Schülern: Ali Gashi hat vor vier Jahren in Wedding | |
> begonnen, ehrenamtlich Nachhilfe für Kinder aus armen Familien zu geben. | |
> Sein Projekt braucht nun dringend Geld | |
Bild: Ali Gashi (r.) erklärt’s noch mal, Schüler Deniz Kaya geht offenbar e… | |
Von Lucas Liskowski | |
An der Prinzenallee in Wedding ist es laut. Immer wieder quetschen sich | |
Polizeiwagen mit Sirenengeheul an langen Autoreihen vorbei. Doch zwischen | |
einem Haushaltswarengeschäft und einem Gemüseladen führt eine Einfahrt zum | |
Medienhof Wedding. Auf der kleinen, von Häusern umringten Fläche albern | |
Kinder herum. Im Hinterhinterhof ist dann nichts mehr zu hören von dem | |
Lärm. | |
Durch die Fenster sieht man Schülergrüppchen an Schreibtischen sitzen. Bis | |
zu 35 Kinder aus Grund- und Oberschulen kommen freitags regelmäßig zur | |
Nachhilfe hierher. Lehrer*innen und Schüler*innen lassen sich kaum | |
auseinanderhalten, denn die Lehrer sind zu einem großen Teil selbst noch | |
Schüler oder Studierende. Wie auch ihre Schüler*innen haben sie fast alle | |
einen Migrationshintergrund und sind in Wedding groß geworden. | |
„Wir wollen etwas für die Bildungsgerechtigkeit tun“, sagt Ali Gashi zur | |
taz. Gashi ist 25 Jahre alt und hat im März 2016 das ehrenamtliche | |
[1][Projekt „Schüler helfen Schülern“] (SHS) gegründet. Im Alter von vier | |
Jahren floh Gashi mit seiner Familie aus dem Kosovo, damals noch | |
Kriegsgebiet, nach Berlin. Er ging in Wedding zur Schule und studiert | |
mittlerweile Wirtschaftsingenieurwesen. | |
„Die Gefahr, in Arbeitslosigkeit und Kriminalität zu rutschen, ist hier | |
sehr groß“, sagt Gashi. Die Schulen seien meist unterbesetzt und die Lehrer | |
zu ungeduldig. Viele schafften es nicht, den Kindern eine Perspektive | |
aufzuzeigen. | |
Oft empfehlen Lehrer selbst die SHS-Nachhilfe. Sie ist kostenlos und | |
unverbindlich. Zudem werden dort alle Fächer abgedeckt. „Wir können neben | |
der Nachhilfe den Kindern als Vorbild dienen“, sagt Gashi. Viele der Kinder | |
kämen aus armen Familien. Die Eltern hätten nicht die finanziellen Mittel, | |
um ihren Kindern konventionelle Nachhilfe zu bezahlen, viele sprächen kaum | |
Deutsch und könnten ihren Kindern beim Lernen nicht ausreichend helfen. | |
Einige Mütter, die ihre Kinder hier zur Nachhilfe bringen, hätten die | |
Lehrer schon zum Essen eingeladen, weil sie so dankbar dafür seien, sagt | |
Gashi. | |
Oft vergessen werden in Debatten über die Integration von Kindern aus | |
Einwandererfamilien bereits vorhandene Kompetenzen wie die | |
Zweisprachigkeit. Einer, der seine Voraussetzungen voll ausschöpft, ist der | |
sechzehnjährige Yasin, der beim Vornamen bleiben will. Er gibt hier | |
Nachhilfe für Gleichaltrige und jüngere Kinder, seit er 12 Jahre alt ist, | |
spricht Deutsch und Arabisch und macht gerade sein Abitur. Nach dem Studium | |
möchte er den Ausbau von Solarenergie in Algerien vorantreiben. Der geringe | |
Altersabstand bringe beiden Seiten etwas, findet Gashi: „Bei ihm hat das | |
Konzept eines geringem Altersunterschieds zwischen Nachhilfelehrer und | |
Schülern perfekt hingehauen.“ Die Nähe sei eine Besonderheit im Vergleich | |
zu normaler Nachhilfe. | |
Das Verständnis der Nachhilfelehrer*innen für die Lebenssituationen der | |
Schüler ist hier größer: „Wir waren auf den gleichen Schulen, hatten die | |
gleichen Probleme – dadurch entsteht eine ganz andere Beziehung zu den | |
Schülern. Wir sind nicht nur Lehrer, sondern auch Ansprechpartner“, sagt | |
auch Can Ali Timur (s. Foto, Mitte), der hier Mathe, Physik und Deutsch | |
unterrichtet. | |
Mathe ist besonders gefragt. Eine Elftklässlerin erzählt etwas enttäuscht, | |
dass sie, wenn sie um 16 Uhr bei der Mathenachhilfe ankomme, die Gruppen | |
meist schon voll seien. Ähnlich schildert es Nachhilfelehrerin Riema | |
Breim: „Wir brauchen noch ein bis zwei Mathelehrer mehr.“ Das sei aber | |
nicht möglich, wegen des knappen Budgets können keine weiteren Stellen | |
ausgeschrieben werden. | |
Die Nachhilfelehrer bekommen nur 9 Euro pro Stunde – weniger als den | |
Mindestlohn. Doch das SHS-Team ist sich einig: Für sie ist das Projekt eine | |
Herzensangelegenheit. Gashi erzählt, wie er seine Kollegen überreden | |
musste, überhaupt mehr als eine Aufwandsentschädigung von 5 Euro | |
anzunehmen. Für einige Monate wurden die Studierenden, weil es keine | |
Sponsoren gab, gar nicht bezahlt – die Nachhilfe sei trotzdem | |
weitergegangen. | |
„Schüler helfen Schülern“ ist abhängig von den Stiftungen JaBe und | |
Pfefferwerk. Das Projekt seit stets um neue Sponsoren bemüht und müsse die | |
vorhandenen davon überzeugen, ihr Engagement zu verlängern. Die zwei Räume | |
im Medienhof Wedding hat das landeseigene Wohnungsbauunternehmen Degewo | |
gestellt. Es gibt zwar einen Mieterlass – aber es komme dennoch immer | |
wieder zu finanziellen Engpässen bei „Schülern helfen Schülern“. | |
Das liegt auch daran, dass sich SHS als mehr als nur eine Nachhilfegruppe | |
versteht: Regelmäßig unternimmt die Selbstnachhilfe auch Ausflüge mit den | |
Schülern. Die Gruppe war schon beim Bowling, beim Schlittschuhfahren und im | |
Jumphouse. Ein Museumsbesuch soll in Kürze stattfinden, wie Gashi erzählt. | |
Doch um mehr Vorhaben wie diese umsetzen zu können, brauche es mehr Geld. | |
24 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.jabe-stiftung.de/unsere-projekte/schueler-helfen-schuelern/ | |
## AUTOREN | |
Lucas Liskowski | |
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