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# taz.de -- Deniz Yücel liest in JVA: Das Konsulat bringt nur Döner
> Deniz Yücel hat sein Buch „Agentterrorist“ in einem Berliner Gefängnis
> vorgestellt. Vor lauter Fragen kam er fast gar nicht zum Lesen.
Bild: Deniz Yücel signiert sein Buch „Agentterrorist“ für die Gefängnisb…
Berlin taz | Man ist ja nicht zum Spaß hier. Über Kopf prangen Gittergänge,
die zu den Zelltrakten führen. Dann stößt man auf das zentrale Rondell des
preußischen Mustergefängnisses Moabit. Das denkmalgeschützte Panoptikum
sorgt dafür, dass die Schließer immer alles sehen können, was vor sich
geht.
Die Kirche im ersten Stock des Panoptikums sei der größte Raum der
Haftanstalt, erklärt Pfarrer Thomas Lehmann. Hier soll Deniz Yücel zum
allerersten Mal aus seinem Buch „Agentterrorist“ lesen, das über seine
eigene Zeit in der Haftanstalt Silivri erzählt. Er sitzt neben dem
Tabernakel und neben Sebastian Brux, dem Pressesprecher der
Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Der
Termin findet wenige Stunden vor der großen Lesung im Festsaal Kreuzberg
statt. Rund 35 Gefangene sind gekommen und beinahe ebenso viele
Mitarbeiter*innen der JVA.
Anstaltsleiterin Anke Stein lobt Yücel dafür, dass er sein Buch „einer
Klientel“ vorstellt, die sich das Hardcover „gar nicht leisten“ könne.
„Gott sei Dank“, ruft unvermittelt ein lederjackiger Insasse, der betont
lässig mit einem Gebetskettchen spielt: „Endlich habe ich mal ein Gesicht
zum Namen Anke Stein.“ Pfarrer Lehmann spricht von einer
gesellschaftsdiakonischen Aufgabe. Hinterm Altar prangt eine riesige
Glasfront. Sie ist allerdings verdeckt durch einen beigen Lammellenvorhang.
Nur eine halbe Lamelle breit darf Tageslicht hereindringen, der Raum wird
von fiesen Lampen erhellt.
Dann beginnt Deniz Yücel auf Bitte des Moderators seine Geschichte zu
erzählen. Er spricht auch davon, wie ein Recherchebesuch in der JVA Moabit
während der Arbeit an seinem Buch ihn gelehrt habe, dass in Deutschland
nicht alles besser ist als in der Türkei, zumindest nicht, was die
Haftumstände angeht. Wenn es einen Eisbrecher gebraucht haben sollte, dann
war er das. Ab jetzt wird Yücel bis zum Ende der Veranstaltung Fragen
beantworten, ohne eine Seite aus seinem Buch zu lesen.
## Sanfter Umgang mit Alphamännern
Er spricht mit leiser, sanfter Stimme vom Altar aus, die meisten Frager
treten mit weit wuchtigeren Stimmen auf. Den Rhythmus bestimmen sie, nicht
der Moderator. Wie es denn sein könne, dass er nur für seine Artikel zu 18
Jahren Haft verurteilt werden sollte: „Was stand denn darin?“ Ob es stimme,
dass er im Rahmen eines Panzerdeals zwischen der türkischen und der
Bundesregierung freigekommen sei. Warum sich die Bundesregierung
ausgerechnet für ihn so stark eingesetzt habe. Das türkische Konsulat komme
in der JVA Moabit nur einmal im Jahr vorbei, um Döner auszuteilen.
Yücels Mischung aus Analysen und Anekdoten scheint genau richtig für diesen
Raum. Als er erzählt, wie ihm der Richter einmal sagte, er wisse auch noch
nicht, wie es weitergehe, er warte noch auf Anweisungen, ruft ein
Gefangener aus der ersten Reihe: „Das ist ja Rechtsbeugung!“ Ein junger
Mann will wissen, wie das Essen war. Jemand anderes fragt ihn nach
Khashoggi.
Wie es gewesen sei, in Isolationshaft zu sitzen und nicht zu wissen, wann
er wieder rauskomme? Vor allem ab dem Punkt schlimm, erzählt Yücel, als er
nicht mehr wusste, ob er seinen krebskranken Vater noch einmal würde sehen
können. Zwei Alphamänner brummeln untereinander. „Hey“, sagt Deniz sanft,
„das ist gerade ein besonderes Thema.“ Sofort herrscht Stille. Ob er
vielleicht schneller rausgekommen wäre, wenn er weniger umtriebig gewesen
wäre? „Vielleicht, aber mir war wichtiger, nicht das Gefühl zu haben, im
Knast zu sitzen und niemand kümmert sich.“ Wieder Unruhe, aber nicht aus
Teilnahmslosigkeit. Die Männer auf den Holzbänken applaudieren Dilek
Mayatürk Yücel, weil sie während Yücels Haftzeit aus München nach Istanbul
gezogen war, um an seiner Seite zu stehen. In den Applaus hinein wünscht
Yücel ihnen allen, dass sie auch jemanden haben, der ihnen zur Seite steht
und sich kümmert.
„Können Sie morgen noch mal kommen?“, fragt ein Gefangener gegen Ende. Ein
anderer will wissen, wie viel das Buch denn koste, von dem Anstaltsleiterin
Stein behauptet hatte, er könne es sich nicht leisten. Daraufhin schenkt
Deniz sein Leseexemplar der Anstaltsbibliothek und das von Senatssprecher
Brux gleich mit, denn der darf gar keine Geschenke annehmen. „Nichts über 5
Euro, steht im Gesetz“, ruft ein Mann im Trainingsanzug.
8 Oct 2019
## AUTOREN
Oliver Kontny
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