# taz.de -- nord🐾thema: „Die Dinge, die mit dem Körper passieren, sind no… | |
> Manche Menschen reden lieber nicht über Sex, schon gar nicht mit ihren | |
> Kindern oder Jugendlichen. Gut, dass es Profis gibt wie die | |
> Sexualpädagogin Frauke Schussmann. Ein Gespräch über Schweiß, Scham und | |
> die richtigen Worte | |
Interview Florian Maier | |
taz: Frau Schussmann, wie würden Sie den Beruf der Sexualpädagogin | |
beschreiben? | |
Frauke Schussmann: Mein Beruf hat verschiedene Schwerpunkte. Ich würde | |
lieber von sexueller Bildung sprechen als nur von Sexualpädagogik. | |
Pädagogik beschränkt sich auf Kinder und Jugendliche. Der Lernprozess endet | |
ja nicht, weil man 18 geworden ist. Deswegen gehört Erwachsenenbildung für | |
mich genauso dazu. | |
Welche Bereiche deckt sexuelle Bildung alles ab? | |
Dazu gehört viel Aufklärung, also viel über Körperprozesse. Einerseits | |
biologische, andererseits aber auch emotionale Fragen: Wie verändert sich | |
mein Körper? Wie ist das erste Mal verliebt sein? Wie ist das erste Mal Sex | |
haben? Dafür dann eine Sprache zu finden, sehe ich als meinen Beruf an – | |
und dann mit den jeweiligen Menschen ins Gespräch zu kommen. | |
Sexualkundeunterricht in der Schule ist oftmals sehr technisch. Wie lässt | |
sich dagegen anarbeiten? | |
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Wenn man sich die Lehrpläne | |
auf Landesebene anguckt, sollen Kinder und Jugendliche sehr viel lernen, | |
beispielsweise auch sexuelle Vielfalt und Geschlechtsidentität. Es ist | |
schwierig zu beurteilen, ob das auch wirklich beigebracht wird. Oftmals | |
kommt es mir so vor, als würde ich die Lehrkräfte entlasten, die zu mir | |
kommen. Dadurch können sie ihren Bildungsauftrag abgeben auf Außenstehende, | |
die professionell sind. Gleichzeitig habe ich einen anderen Ansatz als in | |
der Schule. Bei mir geht es ja nicht nur um Schwangerschaftsverhütung, | |
sondern auch um einen lustvollen und sexpositiven Ansatz. Es wäre sehr | |
schön, wenn mein Angebot ein Zusatz wäre, leider kommt es mir manchmal so | |
vor, als sei es eine Auslagerung von Verantwortung – oder auch von | |
unangenehmer Auseinandersetzung. | |
Viele Lehrkräfte sind dafür ja auch nicht ausgebildet. | |
Das ist auch okay: Mir ist es lieber, wenn die Schulklassen zu mir kommen, | |
als wenn sie mit ihre*m Biologielehrer*in ein sehr steifes Gespräch über | |
Lust führen müssen. Wie soll das aber auch eine Person gut lehren können, | |
die da selbst auch sehr unsicher ist? | |
Wie spricht man mit Schüler*innen über Lust am Sex? | |
Ich versuche das auf jeden Fall sehr vorsichtig zu artikulieren. Klar kommt | |
es da auch auf das Alter an. Ein weiterer Faktor ist, ob sie schon sexuell | |
aktiv sind. Beispielsweise sage ich auch, dass es sehr schön sein kann, | |
sich selbst zu berühren, und das auch absolut okay ist. Ich persönlich | |
finde, ich muss hauptsächlich eine Ebene mit den Jugendlichen finden. Ich | |
kann die mit meinen erwachsenen Erfahrungen natürlich nicht überladen. | |
Wie kann ich mich als Elternteil über sexuelle Aufklärung informieren? | |
Auch dafür gibt es Beratungsstellen: Pro Familia hat beispielsweise auch | |
Beratungsangebote für Eltern. | |
Welche Begriffe verwenden Sie für Genitalien? | |
Es ist ein Moment der Normalisierung, dass ich die Worte „Penis“ und | |
„Vulva“ verwende. Aber was ich durchaus mit den Jugendlichen mache, ist | |
fragen: Welche Begriffe verwendet ihr? Was könnte hier eine gemeinsame | |
Sprache für uns sein? Gerade wenn ich gemischtgeschlechtliche Gruppen habe, | |
werden von den Jungs oft Kraftausdrücke oder Schimpfwörter verwendet. Ich | |
würde sagen, das ist auch Teil von deren Unsicherheit. Was aber spannend | |
festzustellen ist: wie viel mehr positive Begriffe es für „Penis“ gibt – | |
als für „Vulva“. | |
Wie bekommen Jugendlichen da eine Vorstellung insbesondere von der | |
weiblichen Sexualität? | |
Mir persönlich ist es ein Anliegen, gerade auch die Klitoris zu zeigen. Ich | |
habe dafür auch Modelle der Klitoris mit allen Schwellkörpern. Wenn ich mit | |
Mädchen über Selbstbefriedigung spreche, zeige ich, wenn es passt, zum | |
Beispiel einen Auflagevibrator. Meistens sind die Reaktionen unglaublich | |
schambehaftet, aber ich denke mir: „Dann habt ihr es wenigstens schon mal | |
gesehen oder davon gehört.“ | |
Sollte allgemein mehr über Sex und Sexualität gesprochen werden, auch | |
seitens Eltern, Lehrer*innen und so weiter? | |
Ja. Ich würde aber nicht von allen Eltern irgendwie verlangen, ihr Kind | |
aufzuklären. Vielleicht eher in die Richtung, dass Dinge, die mit dem | |
Körper passieren, normal sind: Periode, Haare oder Schweiß, alle diese | |
Veränderungen, die in der Pubertät eintreten. Jugendliche sollen nicht das | |
Gefühl haben, total ekelhaft und falsch zu sein. Die Gesellschaft tendiert | |
leider dazu, unsichtbar und geruchslos zu sein, wenn es um Körperausflüsse | |
oder Regungen geht. Da würde ich mir eine höhere Sichtbarkeit und | |
Selbstverständlichkeit wünschen. Genau wie eine höhere Toleranz für | |
Diversität. | |
Viele erste sexuelle Erfahrungen entstehen über den Konsum von Pornografie. | |
Macht sich das in den Gesprächen bemerkbar? | |
Ich habe den Eindruck, dass die Mädchen eher wenig bis keine Pornos gucken. | |
Da geht es eher darum, ob sie in der Schule rumgezeigt wurden. | |
Alltagskonsum von Pornografie, würde ich sagen, gibt es mehr bei den Jungs | |
als bei den Mädchen. | |
Im Porno geht es in den seltensten Fällen um Konsens … | |
Darüber rede ich mit den Jugendlichen. Aber nicht nur über | |
Einvernehmlichkeiten beim Sex, sondern auch in Beziehungen: dass es auch | |
ziemlich wichtig ist, dass es einem selbst in der Beziehung gut geht. | |
19 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
florian maier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |