| # taz.de -- Immer eine Line auf Lager | |
| > Selim Özdoğans neuer Roman „Der die Träume hört“ ist | |
| > Vater-Sohn-Geschichte, HipHop-Roman und Aufstiegsstory zugleich | |
| Bild: Vielleicht sieht’s im fiktiven Stadtteil Westmarkt so aus wie hier in D… | |
| Von Julia Wasenmüller | |
| Ein Typ sitzt breitbeinig auf einer U-Bahn-Bank – glänzende Daunenjacke, | |
| schwarzes Käppi, fette Uhr. Über dem Gesicht liegt ein dunkler Schatten, in | |
| den Händen ein Smartphone. Das Cover von Selim Özdoğans neuem Roman „Der | |
| die Träume hört“ bedient auf den ersten Blick alle Klischees eines | |
| Gangsterkrimis mit harten Jungs, die von der Straße kommen, dealen, Geld | |
| machen, einer männlicher als der andere. | |
| Wenn man das Buch aufschlägt, bekommt man in Teilen auch genau das. Und | |
| zwar bewusst. Denn hauptsächlich handelt es sich um eine scharfe | |
| Gesellschaftsanalyse und bewegende Hommage an Migrant*innen in diesem Land. | |
| Özdoğans Protagonist*innen wissen, warum sie sich weiter mit schmutzigen | |
| Geschäften und Jobs herumschlagen müssen, die sonst keine*r machen will: | |
| weil sie „Schwarzköpfe sind“, denen man keine andere Chance gegeben hat. | |
| Weil das seit drei Generationen so ist. Und weil sie in Westmarkt leben, | |
| einem fiktiven Stadtteil irgendwo im Ruhrgebiet, der mehr eine | |
| gesellschaftliche Position als einen Ort markiert und genauso auch in jeder | |
| anderen deutschen Großstadt existiert. | |
| Der Icherzähler Nizar Benali hat es aus Westmarkt rausgeschafft. Er hat mal | |
| Drogen verkauft, dann wurde er Kioskbesitzer, anschließend Personal Trainer | |
| und letztlich Privatermittler für Cyberverbrechen. Er wird beauftragt, | |
| einen Dealer im Darknet ausfindig zu machen, an dessen Stoff ein | |
| Jugendlicher „aus gutem Haus“ gestorben ist. Ausgehend von diesem Plot | |
| spannt Özdoğan mehrere Geschichten auf: Nizar erfährt, dass er einen | |
| 17-jährigen Sohn hat, von dem er bislang nichts wusste. Er heißt Lesane und | |
| wohnt in Westmarkt. Er tickt und hat Schulden. Durch seinen Sohn wird Nizar | |
| in die Zeit seiner eigenen Jugend zurückgeworfen und mit Geschichten | |
| konfrontiert, von denen er eigentlich dachte, dass er sie hinter sich | |
| gelassen habe. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Kamber, mit dem er | |
| wie mit einem Bruder aufgewachsen ist, obwohl sie nicht dieselben Eltern | |
| hatten. Kamber hat sich nie vom Drogenbusiness losgerissen, war lange im | |
| Knast. Nizar brach irgendwann den Kontakt ab, um selbst den Absprung zu | |
| schaffen. Özdoğan zeichnet mit seinen Protagonist*innen unterschiedliche | |
| Wege – aus Westmarkt hinaus oder tiefer hinein. Sein Ton ist dabei weder | |
| moralisierend noch verbissen. | |
| Der rote Faden, der sich dabei durch die Geschichten der drei Generationen | |
| zieht, ist der Wunsch nach Loyalität und der Frage, ob diese bedingungslos | |
| möglich ist. „Sei deinen Nächsten ein Rücken, egal wie falsch sie liegen, | |
| egal was sie gemacht haben. (…) Wenn man nicht immer hinter jemandem stand, | |
| egal was, konnte man es gleich vergessen. Jemand, der bei dir war, solange | |
| du alles richtig machtest, war kein Freund. Leute, die nur ein Rücken | |
| waren, solange du nicht straucheltest, waren gar keiner“, sagt Nizar. | |
| „Alles für die Familie“, sagt Sevgi. | |
| Bei beiden klingen solche Aussagen, die oft wie „Migrantendeutsch“ | |
| daherkommen, nicht nach überzogener Gettoromantik. Am besten funktioniert | |
| die Kommunikation zwischen Nizar und seinem Sohn Lesane über HipHop. Für | |
| jeden Moment haben sie eine passende Line auf Lager. Und wissen dabei auch, | |
| wie absurd es ist, „dass irgendwelche Rapper in den USA sie besser | |
| verstehen als die Lehrer, die Ärzte, die Bullen, die Leute beim Amt, besser | |
| als ganz Deutschland“. | |
| Nebenbei liefert Özdoğan so einen beeindruckenden Einblick in zwanzig Jahre | |
| Musikgeschichte. Immer wieder kommen Nizar und Lesane mit Aussagen um die | |
| Ecke, die mal ernst, mal witzig, aber immer unglaublich treffend sind. Wenn | |
| Nizar sich zum Beispiel über die Anfänge des Deutschrap aufregt, der „von | |
| Streber-Weißbroten aus der Mittelschicht bevölkert war“. Oder er über seine | |
| Beziehung zu Rahel nachdenkt, die nur Studentenfreunde hatte, die es schick | |
| fanden, mit einem wie ihm befreundet zu sein. Sie benutzen ihn, um jeden | |
| Rassismusvorwurf abzuwehren, indem sie sagen: „Klar kenne ich Leute mit | |
| Migrationshintergrund.“ Irgendwann ist man als Leser*in nicht mehr | |
| überrascht von diesen Aussagen. Das stereotype Bild des unnahbaren und | |
| gefährlichen Dealers wankt von Anfang an. | |
| Selim Özdoğan, Jahrgang 1971, stammt aus einer türkischen Familie, ist in | |
| Köln-Mülheim geboren und zweisprachig aufgewachsen. Sein Roman lebt vom | |
| ehrlichen Umgang mit den Widersprüchen und dem Druck, dem Migrant*innen | |
| ausgesetzt sind, die den sozialen Aufstieg schaffen wollen. Einmal sagt | |
| Nizar: „Wir schrien, weil wir Träume hatten. Träume von einem leichteren | |
| Leben, irgendwo. Irgendwann. Träume davon, auch etwas wert zu sein.“ Es | |
| sind Sätze, die Özdoğan aus der Erfahrung heraus schreibt, dass es für | |
| jemanden wie ihn immer schwerer war dazuzugehören. | |
| 28 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Juri Wasenmüller | |
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