# taz.de -- berliner szenen: Sie haben doch selbst Kinder! | |
Neulich war ich mal wieder zu einer Autorinnenlesung geladen. Eine Bücherei | |
in Mitte, neun Uhr früh. Dorthin war ich durch die Strelitzer spaziert, wo | |
ich, es war einmal, gewohnt habe. Das Nachbarhaus, in dem ich die greise | |
und vollkommen der Vergesslichkeit anheimgefallene Frau Oelschlegel besucht | |
hatte, war frisch saniert; ihre Veilchentöpfe und Gardinen verschwunden. | |
Melancholisch betrat ich die Bibliothek, eingestellt auf | |
wohlstandsverwahrloste Besserwisserkinder, aber dann kam die Klasse doch | |
aus dem Wedding, genau wie ich. | |
Wohlan, so eine Lesung ist ja immer wunderbar, glückliche Kindergesichter | |
et cetera – doch irgendetwas stimmte nicht. Von der Lehrerin war die Bagage | |
offenbar derart auf „Und bloß keinen Mucks!“ getrimmt, dass sie nicht mal | |
lachten. Schließlich kam’s zu der üblichen Lehrerin-Künstlerin-Begegnung. | |
Lehrerin: „Aber verraten Sie mir doch: Wie kann man nur solche Bücher | |
schreiben?“ Künstlerin (Was meint sie wohl: so tolle, witzige, kluge, | |
wahre?): „Wie meinen Sie das?“ Lehrerin: „Na ja, also, mein Mann hat auch | |
gesagt, ich soll gar nicht erst kommen, das kann man den Kindern doch nicht | |
antun! Harmlose, angeleinte Dackel essen! Sie haben doch selbst Kinder! Wie | |
können Sie nur?“ | |
Hernach im Café nebenan, das eigentlich ein Buchladen ist, aber nicht | |
einfach so irgendeiner. Die Stärkung aus Kaffee und Croissant ohne Dackel | |
kostet 4,50. Um das wieder reinzukriegen, müsste der | |
Nicht-einfach-so-ein-Buchladen fünf meiner Bücher verkaufen, was er gar | |
nicht kann, denn im Regal machen sich Lindgren, Ende und Preußler breit. Wo | |
anfangen? Ich befehle hiermit mit sofortiger Wirkung: Netflix kündigen! In | |
irgendeinen Buchladen gehen! Alle meine Bücher kaufen! Und danach die der | |
anderen noch lebenden Nicht-einfach-irgend-so-eine-Autorinnen. Danke. | |
Kirsten Reinhardt | |
28 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Reinhardt | |
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