# taz.de -- Schmales Œuvre in bleierner Zeit | |
> Fragen der Verarmung, Verelendung und die Möglichkeit einer Revolution: | |
> Das Kino Arsenal zeigtalle Filme von Wolfgang Höpfner, der als | |
> politischer Dokumentarfilmer an der Berliner dffb studierte | |
Bild: Eine Hommage an den Leser, (hier gemalt von Vilhelm Hammershøi (1864–1… | |
Von Peter Nau | |
Wie man zu sagen pflegt, dass kein Unglück allein komme, so trifft dies | |
auch auf das Glück in ähnlicher Weise zu. Manchmal hat es einen Namen, im | |
Falle von Wolfgang Höpfner den von Professor Leo Kreutzer. Dieser brachte | |
den Germanistikstudenten mit dem Fernsehen in Berührung. 1974 und 1976 | |
entstanden beim WDR und in Coproduktion mit ihm der Dokumentarspielfilm | |
„Gruselkrimis in der Hauptschule“ und der Lehrspielfilm „Was Eltern forde… | |
und Kinder leisten“ (beide Male Regie: Peter Goedel, Wolfgang Höpfner und | |
Thomas Lichte). Eine Lehrerin und ein Lehrer, daran gewöhnt, eine Richtung | |
zu empfangen, geben sich darin selbst eine Richtung, um dem täglichen | |
Abgenütztwerden zu entgehen. | |
Auch Wolfgang Höpfner tat diesen Schritt und begann ein Studium an der | |
dffb. Er wollte politische Dokumentarfilme machen, ohne dass er sich der | |
Unterscheidung Godards zwischen „1. Wir müssen politische Filme machen“ und | |
„2. Wir müssen politisch Filme machen“ schon bewusst gewesen wäre. Es | |
entstanden (Co-Regie: Norbert Weyer): „Zwei Protokolle“ (1978), ein | |
halblanger Film, der bei den politischen Gruppen, die Gefangene | |
unterstützten, zum Renner wurde, sowie der ebenfalls um den Mordprozess | |
gegen die politischen Gefangenen Roland Otto und Karl Heinz Roth kreisende | |
„Vor vier Jahren, vor zwei Jahren“ (1977–79). Zwei Filme, die – über | |
vierzig Jahre hinweg immer wieder einmal gesehen – mir heute die Prognose | |
Kafkas in Erinnerung rufen: „Wir leben in einer so von Dämonen besessenen | |
Zeit, daß wir das Gute und Gerechte bald nur noch in tiefster | |
Verschwiegenheit wie einen Rechtsbruch werden verwirklichen können. Der | |
Krieg und die Revolution klingen nicht ab. Im Gegenteil! Durch das Erkalten | |
unserer Gefühle steigt ihre Glut.“ | |
Das Leben floss dahin, nahm weiterhin seinen Lauf. Wolfgang Höpfner | |
heiratete, sie bekamen Kinder; Geldnöte. Was tun? Aber da war ja noch Leo | |
Kreutzer, der einsprang. Es entstand an der dffb „Der ewige Tag“ (1983) und | |
daraufhin – in der Einsamkeit der Leineberge, im Dörfchen Capellenhagen – | |
die wunderbare, diesen Abschlussfilm kommentierende Abhandlung „Lesen und | |
Sehen“. „Zufällig“, steht da geschrieben, „wurde ich auf die Gurre-Lie… | |
von Schoenberg neugierig und ließ sie mir von der freundlichen Dame | |
auflegen. Der Anfang des Films, seine ersten Bilder waren gefunden.“ | |
Ein Flaneur (Wolfgang Höpfner) gibt sich in der Passerelle, Hannovers | |
unterirdischer Fußgängerzone – so wie seine Vorläufer im 19. Jahrhundert es | |
in den „faltigen Mäandern der alten Metropolen“ taten –, seinen Eindrüc… | |
hin. Fragen der Verarmung, Verelendung, die Möglichkeit einer Revolution | |
beschäftigen ihn. Er trägt immer ein Buch mit sich, jedes Mal ein anderes, | |
aus denen er in den verschiedensten Situationen rezitiert. Diese Szenen | |
gehen zwanglos, wie beiläufig aus den Passerelle-Impressionen hervor und | |
wir spüren dann: die platonische Kraft einer Dichtung ist stärker als die | |
historische Realität. | |
Auswahl und Art des Vortrags der Textpassagen verraten Fingerspitzengefühl. | |
Da dem laut und doch gleichzeitig ganz für sich Lesenden bis auf eine | |
Ausnahme im Film niemand zuhört, bekommen seine ebenso weltabgewandten wie | |
exzentrischen Auftritte eine zart ironische Note. Nur einer hört zu: ein | |
junger Mann, der vor einem Café sitzt, in dem Billard gespielt wird. „Am | |
Morgen stand er neben ihrem Bett …“ beginnt ein Ausschnitt aus Jens Peter | |
Jacobsens Novelle „Mogens“. Auf einer anderen Novelle dieses Autors beruhen | |
Schoenbergs Gurre-Lieder, mit deren zweiter Strophe der Film ausklingt. | |
Zu sehen in der Reihe „Filme von Wolfgang Höpfner und Peter Goedel“, 1. bis | |
8. Oktober, Kino Arsenal | |
1 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Peter Nau | |
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