# taz.de -- Im Blick zurück entstehen die Dinge | |
> Der dreizehnte Absolvent*innen-Jahrgang der 2004 gegründeten | |
> Ostkreuz-Fotoschule ist auf den soziografischen Blick geschult und will | |
> unsere Epoche erkennen lassen | |
Bild: Aus der Serie „The Boarders „ | |
Von Anselm Lenz | |
„Inwieweit“ – so lautet die aktuelle Frage – „bilden diese Fotografie… | |
damaligen Verhältnisse ab, die politischen, die sozialen, die | |
psychosozialen und andere?“ | |
Die Jahresausstellung der Ostkreuz-Fotoschule stellt diese Frage. Sie | |
unternimmt einen Blick zurück in die Gegenwart am Ende der 2010er Jahre. | |
Unter der Prämisse, aus dem Jahr 2039 zurückzureisen, wurden die rund 15 | |
Absolvent*innen für ihre Abschlussarbeiten auf den soziografischen Blick | |
geschult. Man bezieht sich dabei auf Sebastião Salgado, der für seinen | |
unbestechlichen Schwarz-Weiß-Blick auf die Verwerfungen der Gegenwart | |
unlängst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zugesprochen bekommen | |
hat. | |
Die Absolventin Laura Schleder löst mit einer Serie aus einer | |
Nudistenkolonie Fragen nach dem Körperkult der Selfie-Generationen aus. | |
Ihre Figuren kontrastieren zwischen realer Nacktheit und idolisierten | |
Körpern. Claudia Neubert zeigt vermeintlich normale Straßenszenen, Autos | |
und Menschen in industrieller Umgebung. Ihre Serie „Råne“ strahlt eine | |
Aggressivität aus, jeden Moment könnte etwas passieren, das sich schon | |
länger unterschwellig ankündigt. Übernehmen gleich Ökoaktivist*innen oder | |
Gelbwesten die Szenerie? Oder beide? | |
Beeindruckend und zum längeren Verweilen einladend sind Lara Ohls | |
Porträtfotografien. Ihre halb dokumentarischen, halb artifiziellen | |
Bildnisse zeigen Menschen in Drucksituationen. Nichts bewegt sich, aber | |
alle scheinen hin und her gerissen von einer nicht sichtbaren sozialen | |
Gemengelage. Etwas ist schief, dabei haben sich die Kinder, Frauen und | |
Männer geradezu geometrisch ausgerichtet. | |
Ihre Uniformierung hat eine falsche Lässigkeit; ihre Lässigkeit birgt eine | |
Uniformierung. Die Spektakelhaftigkeit des Gesellschaftlichen scheint sich | |
bei Ohl noch ein letztes Mal an Traditionalismen abzuarbeiten. Hier kehrt | |
der Faschismus als spätkapitalistische Farce zurück, nicht als Faschismus | |
selbst, auch wenn die zurichtenden Energien ähnliche sind. Etwas geht zu | |
Ende, ist bereits zu Ende gegangen. Aber dieses Etwas presst die Figuren | |
noch in absurde Arrangements und Stilismen, entfaltet noch immer eine | |
Wirkung. Was wird es gewesen sein? | |
Die Ostkreuz-Fotoagentur war 1990 von sieben DDR-Künstler:nnen gegründet | |
worden und erlangte rasch einen Ruf, der nicht nur in Deutschland bis heute | |
anhält. Ab 2004 kam als separater Ableger die Fotoschule der | |
Ostkreuz-Gründer Werner Mahler und Thomas Sandberg hinzu, zu der heute am | |
Gebäude in der Behaimstraße eine Treppe rechts am Gebäude der Agentur | |
hinaufführt. | |
Am Freitagabend erwartet man zur Ausstellungseröffnung auch ein | |
ausgelassenes Fest, das bis in die Puppen gehen soll. Die private | |
Ostkreuz-Schule hat seit letztem Jahr für ihre Basisklassen auf | |
Halbjahresintervalle umgestellt. So beginnen nach der Aufnahmeprüfung | |
halbjährlich rund 15 Fotoschüler*innen ihre drei- bis vierjährige | |
Ausbildung, die auch neben dem Beruf oder der Familie stattfinden kann. | |
Die Ausstellung findet in den Reinbeckhallen statt. „13 – die | |
Abschlussausstellung“, Eröffnung heute um 19 Uhr, Ausstellung bis 6. 10., | |
Reinbeckstraße 17 (S Schöneweide), Eintritt frei | |
27 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Anselm Lenz | |
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