# taz.de -- Nichts für ewig | |
> Warum sich der Fotograf Göran Gnaudschun den Römernund ihrer Stadt lieber | |
> von den Rändern her näherte | |
Bild: Tangenziale Est, Piazzale Prenestino. Fotos: Göran Gnaudschun | |
Von Mathias Königschulte | |
Als ich den Fotografen Göran Gnaudschun zuletzt traf, schwärmte er von Rom, | |
dem Licht und den Menschen, denen er dort begegnete. Er war zu dieser Zeit | |
Stipendiat der Villa Massimo und gab mir ein paar Tipps für meine erste | |
Romreise. Die haben erst mal wenig genutzt. Die Stadt war eine einzige | |
Überforderung. Ich war einer von Millionen Touristen, an jeder Ecke ein | |
„Ah!“ und ein „Oh!“: Jeder freigelegte Stein und jede kunstgeschichtlich | |
bedeutsame Scherbe wollte hier bestaunt und gelesen werden. Welche Säule | |
(„Ah!“) war römischen Ursprungs, welche Büste („Oh!“) eine Nachbildun… | |
bestand nicht schon die römische Baukunst selbst vor allem aus Repliken | |
griechischer Vorbilder? | |
Ich war verloren zwischen Gips und Marmor. Alles, was hier konserviert, | |
restauriert oder nachgebildet wurde, wollte für die Ewigkeit sein. Dabei | |
war es doch vor allem nur kaputt oder notdürftig geflickt und machte durch | |
ihre Konservierung um so deutlicher, wie unwiederbringlich vergangen die | |
Zeit war, in die es gehörte. „Umbrien! Tumbrien! Kackien! Alles Ruinen!“, | |
schimpfte der Schriftsteller und Italienhasser Rolf Dieter Brinkmann, auch | |
er einmal Stipendiat der Villa Massimo in Rom. | |
Gnaudschun und Brinkmann haben ansonsten nicht viel gemeinsam. Beide sehen | |
sich aber bei ihrem Arbeitsaufenthalt in Rom mit der Aufgabe konfrontiert, | |
sich gegen einen Ort zu behaupten, der kunstgeschichtlich überladen ist und | |
einem eine kanonische Rezeption geradezu aufzwingt. Fuck you, Goethe! Die | |
Stadt blieb mir weitgehend verschlossen. Brinkmann hatte sich sowieso mehr | |
für sich selbst als für Rom interessiert. Und Gnaudschun? | |
Vielleicht begreift man Rom besser, wenn man das Zentrum verlässt und sich | |
der Stadt an ihren Rändern nähert. Entlang der Via Prenestina in Richtung | |
Osten werden die Wohngegenden immer ärmlicher. Trendige Viertel gehen über | |
in Slums, nichts ist hier für die Ewigkeit gebaut worden. Die Via | |
Prenestina war einmal eine alte römische Konsularstraße, die den Zustrom | |
von Arbeitssuchenden und Migranten in die Großstadt kanalisierte. Ihr | |
antikes Pflaster liegt heute unter mehrfach geflicktem Asphalt, der Zustrom | |
hält an. Dort, wo früher Felder bewirtschaftet und die Toten begraben | |
wurden, dehnen sich dicht besiedelte Wohnbebauungen aus, daneben | |
Industriebrachen und Lagerhallen. Das Licht, das es so nur in Rom gibt, und | |
die Pinien, auf die dieses unglaubliche Licht fällt, das findet man hier | |
genau so zu allen Zeiten. | |
Hier öffnen sich dem Fotografen die vielen Schichten dieser Stadt. Die | |
Menschen, die sich von ihm fotografieren lassen, trifft er zufällig. | |
Manchmal hilft ein Dolmetscher bei der Verständigung, denn Gnaudschun | |
spricht weder die Sprache der Porträtierten wirklich gut, noch kennt er | |
ihre Geschichte. „Manchmal entsteht im Porträt zwischen mir und dem | |
Gegenüber eine ungeahnte Nähe“, sagt Gnaudschun. „Etwas ist für einen | |
Moment vorhanden, das ohne Sprache auskommt. Eine Verbindung zwischen uns, | |
die darunter liegt, unabhängig davon, was wir uns gegenseitig bedeuten.“ | |
In und durch die Fotografie werden Momente erfahrbar, in denen zwei Fremde | |
eine Offenheit zulassen und sich begegnen. In diesen flüchtigen Momenten | |
ist man dann angekommen in Rom. | |
Ausstellung Die Fotografien von Göran Gnaudschun sind noch bis zum 26. | |
Oktober in der Ausstellung „Are You Happy“ in der Berliner Galerie Poll zu | |
sehen. | |
Gespräch Am 10. Oktober findet um 19.30 Uhr ein Künstlergespräch in der | |
Galerie statt, geführt von taz-Redakteurin Brigitte Werneburg. Zur | |
Ausstellung erscheint ein Buch, das dann vorgestellt wird. | |
21 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Mathias Königschulte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |