# taz.de -- Ein Ersatz, der keiner ist | |
> Der Vegetarismus hat Konjunktur, die Nachfrage nach | |
> Fleisch-Ersatzprodukten steigt seit Jahren. Gleichzeitig nimmt der | |
> Fleischkonsum aber nicht ab. Wie passt das zusammen? | |
Bild: Besucherinnen auf der VeggieWorld in Dortmund. Die nächste Messe für ei… | |
Von Tobias Schmidt | |
Alle Welt lebt vegetarisch. Wer die steigende Präsenz veganer Burger in | |
Discounter-Regalen beobachtet, wer Tausende für weniger Fleischkonsum | |
protestierende SchülerInnen medial begleitet und den Hype um eine | |
fleischlose Bulette mit dem Namen „Beyond Meat“ mitverfolgt, kann | |
schwerlich einen anderen Eindruck bekommen. Das Konzept „Veggy“ scheint zu | |
boomen, während tierische Produkte augenscheinlich immer mehr aus der Mode | |
kommen. Aber stimmt dieser Eindruck? | |
Fest steht: Selten war es so einfach, vegetarisch zu leben, wie heute. | |
Fleischlose Gastronomien schießen wie Riesenbambus aus dem Boden, die | |
Zuwachsraten veganer und vegetarischer Restaurants in großen und | |
mittelgroßen Städten erreichten zeitweise astronomische 94 Prozent | |
innerhalb eines Jahres. Selbstverständlich bieten auch McDonald’s und | |
Burger King inzwischen vegane Burger an. Zudem gehen zwei von drei Köchen | |
in Großküchen davon aus, dass Vegetarismus in ihrem Betrieb sogar noch an | |
Bedeutung gewinnen wird. Und spätestens die „Veggy-World“-Messe in | |
Dortmund, bei der an diesem Wochenende 80 Aussteller und Tausende Besucher | |
erwartet werden, lässt kaum noch Zweifel: Die Welt schien selten so | |
nachhaltig zu essen wie heute. | |
Demgegenüber steht nun ein Phänomen, das sich nicht so recht mit einem | |
„Veggy-Hype“ vereinbaren lassen will: Der Fleischkonsum sinkt nicht – tro… | |
der Fülle an Alternativprodukten, die auf den Markt fluten. 60 Kilogramm | |
Fleisch pro Person pro Jahr, dieser Wert bleibt seit den 1990er Jahren | |
stabil. Zwar konsumieren die Deutschen immer weniger Schweinefleisch, dafür | |
jedoch umso mehr Hühnchen, Kalb und Rind. Laut ersten Hochrechnungen stieg | |
der Fleischkonsum im Jahr 2018 sogar wieder an, von 60 auf 60,2 Kilogramm | |
pro Kopf. Wie passt das zusammen? | |
„Mich wundert es ehrlich gesagt auch, dass der Fleischkonsum in den | |
vergangenen Jahren nicht gesunken ist“, sagt Harald Seitz, Ökotrophologe | |
beim Bundeszentrum für Ernährung (BzfE). Mit Blick auf die vielen | |
Veggy-Produkte, die inzwischen abgesetzt würden, sei dies geradezu | |
erstaunlich. So steigt der Umsatz mit Fake-Fleisch und pflanzlichen | |
Brotaufstrichen seit Jahren, berichtet das Marktforschungsunternehmen | |
Nielsen. Nimmt man alle anderen vegetarischen Produkte wie Gemüse und | |
Grillkäse hinzu, so hat sich der Umsatz mit vegetarischen und veganen | |
Produkten im Lebensmitteleinzelhandel zwischen 2015 und 2018 auf 1,2 | |
Milliarden Euro sogar fast verdoppelt. Dass das der Beliebtheit von | |
tierischen Produkten nichts anzuhaben scheint, lässt nur einen Schluss zu: | |
Die Deutschen kaufen massig Fleisch-Ersatzprodukte – nur eben nicht, um | |
damit Fleischprodukte zu ersetzen. | |
Seitz bestätigt den Eindruck: „Ich glaube, dass keine wirkliche | |
Kompensation stattfindet.“ Viel wahrscheinlicher sei, dass Fake-Fleisch die | |
KonsumentInnen neugierig mache und dadurch der Absatz dieser Produkte | |
steige. Das vermutet auch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). | |
„Viele Produkte sind Probierprodukte“, heißt es dort – und die | |
VerbraucherInnen beließen es häufig bei einem Versuch. So täuschen die | |
vielen Ersatzprodukte, die ganzen „Wonder Burger“ und „Soja-Bolognesen“… | |
den Regalen darüber hinweg, dass sich eigentlich wenig tut im Kampf gegen | |
den übermäßigen Fleischkonsum der Deutschen. | |
Dabei belastet die übermäßige Tierhaltung in einigen Regionen Deutschlands | |
das Grundwasser, trägt zum Klimawandel bei und verstößt in vielen Fällen | |
gegen den Tierschutz. Laut Bundesumweltministerium entstehen bei der | |
Produktion von einem Kilo Schweinefleisch, dem noch immer beliebtesten | |
Fleisch der Deutschen, rund 3,2 Kilogramm Treibhausgase. Rindfleisch bringt | |
sogar 13,3 Kilo auf die CO2-Waage. Bei Gemüse sind es wenige hundert Gramm. | |
Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten | |
Nationen, beziffert den Anteil der Nutztierhaltung an den vom Menschen | |
verursachten Treibhausgasemissionen auf 16 Prozent. Ein baldiges Absinken | |
des Fleischkonsums scheint indes nicht in Sicht. Die Hoffnung, man brauche | |
allein Gemüsebuletten und Sojawürstchen ins Supermarkregal zu legen und die | |
VerbraucherInnen würden von selbst ihren Konsum ändern, hat sich – | |
zumindest bislang – nicht erfüllt. Wie ausgeprägt die deutsche Trägheit im | |
Fleischkonsum ist, zeigt eine Studie des Markt- und | |
Meinungsforschungsinstitut YouGov. Ihr zufolge sind 70 Prozent nach eigener | |
Auskunft „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ dazu bereit, künftig von | |
Fleisch auf Ersatzprodukte umzusteigen. | |
Es sind Zahlen, die angesichts des augenscheinlichen „Veggy-Booms“ stutzig | |
machen. Harald Seitz zeigt sich dennoch optimistisch, dass es bei dieser | |
starren Nachfrage nicht bleibt: „Ich glaube, dass das eine | |
Generationenfrage ist“. Denn auch das gehöre zur Wahrheit: In Schulen werde | |
das Thema Ernährung, etwa mit einem „Ernährungsführerschein“, immer | |
wichtiger. Die vornehmlich jugendlich geprägte Fridays-For-Future-Bewegung | |
deutet einen ähnlichen Trend an. Zudem ist in der jungen Bevölkerung unter | |
30 der Anteil der VegetarierInnen überdurchschnittlich hoch – ein Indiz | |
dafür, dass die KundInnen von morgen an der verkrusteten 60-Kilo-Grenze | |
etwas ändern könnten. Davon zumindest ist Harald Seitz überzeugt: „Die | |
Leute, die mit vegetarischen Alternativen aufgewachsen sind, die gerade in | |
den Zwanzigern sind, werden in Zukunft den Unterschied machen.“ | |
16 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schmidt | |
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