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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Morgane Llanque: Möbel-Binge im konsume…
Meine Einzimmerwohnung ist ein absolutes Upgrade zu meinem alten WG-Zimmer,
und das ist erfreulich. Aber auf einmal brauche ich deutlich mehr Möbel und
allerhand Sachen, für die man ungern Kohle ausgibt: zum Beispiel
Staubsauger und Waschbeckenunterschränke. Ebay-Kleinanzeigen und Facebook
Marketplace sind daher meine besten Freunde. Jeden Abend sitze ich an
meinem Laptop und scrolle mich hingebungsvoll durch den besten Ramsch
Berlins. Mein Bildschirm ist längst auf Nachtmodus gestellt und strahlt
mich vorwurfsvoll an, weil seine warmen Sepia-Töne mein Gehirn ja
eigentlich runterfahren sollen, damit ich friedlich einschlafen kann. Aber
meine Synapsen sind aufgeputscht! Möbel-Binge! Nie ist der Kapitalismus
gefährlicher, als wenn er sich im Second-Hand-Handel als nachhaltige
Lebensweise tarnt.
Denn die Auswahl ist unbegrenzt. Und ich habe die Ambition, das
Bestmögliche für den kleinsten Preis aufzutreiben. Also bleibe ich wach,
ignoriere meinen Nachtmodus, füge Favoriten nach Favoriten hinzu und
scrolle weiter.
Mein erster Kaufentschluss ist ein Schreibtisch, der mal ein Nähtisch war,
so ein hippes, gusseisernes Ding von Singer, auf dass eine schöne
Holzplatte aufgesetzt wurde. Ann-Kathrin M. wollte für das gleiche Modell
auf Ebay 250 Tacken. Ha, Ann-Kathrin! Ich habe so lange gescrollt, bis ich
deinen überteuerten Vintagetisch bei Marketplace für 65 Euro gefunden habe,
nämlich bei Jana S. aus Weißensee!
Jana S. wohnt in der Dachgeschosswohnung eines nicht uncharmanten
70er-Jahre-Sozialbaus. Gott sei Dank gibt es einen Fahrstuhl. Sie ist die
freundlichste Person, der ich seit Langem begegnet bin, aber sie deprimiert
mich trotzdem. „Vor sieben Jahren bin ich hier eingezogen, das stand noch
alles leer, drei Monate mietfrei hab ich hier gewohnt“, erzählt sie. „Und
dann bin ich immer höher gezogen, bis ich beim Dach angekommen war, und die
Wohnung kostet fast nix.“ Ich erzähle ihr, was ich so zahle. Jana hat
Mitleid mit mir und schenkt mir die Holzplatte zum Tisch dazu.
Obwohl mir Weißensee schon recht weit vorkam, verschlägt mich mein nächstes
Schnäppchen nach Steglitz. Es ist der ungeliebte Waschbeckenunterschrank.
Will man so ein Ding neu kaufen, kostet es meist um die 60 Euro, selbst die
hässlichen Varianten von Ikea. Ich aber finde ein elegantes Exemplar aus
Holz mit goldenen Scharnieren, das für 10 Euro angeboten wird, und
beschließe, dass es die Zweistundenfahrt hin und zurück wert ist. Ich
steige beim S-Bahnhof Botanischer Garten aus und laufe durch den westlichen
Villenwald. Bei der Villa, die meinen Waschbeckenunterschrank beherbergt,
angekommen, werde ich von ein paar blonden Kindern überrannt, die es geil
finden, Waschbeckenunterschränke rauszutragen. Die Mutter begrüßt mich müde
lächelnd. Ich finde in genau diesem Moment heraus, dass ich mal wieder kein
Bargeld bei mir habe. Aber kein Problem, wir machen einfach ganz lässig
Paypal-Direktüberweisung. Wohin ich als Nächstes müsse, fragt sie. Zum
Geldautomaten natürlich. Hat ja nicht jeder Paypal und mein nächster Fund
muss heute auch noch abgeholt werden. „Oh. Der nächste ist aber 20 Minuten
weg von hier.“ Berlin ist so ein riesiges, konsumentenfeindliches Dorf. Als
ich mit meinem neuen Waschbeckenunterschrank auf dem Schoß wieder in der
S-Bahn sitze und ihn zärtlich betrachte, reden neben mir zwei Zehlendörfler
ununterbrochen über ihre Lieblinge, die anscheinend ebenfalls gerade neue
Wohnungen bezogen haben. Man ist sich einig, dass der eigene Nachwuchs gut
dran ist: „Manche haben ja so wenig Geld, die müssen mit der Bahn
umziehen“, höre ich einen von ihnen sagen und spüre die eindringlichen
Blicke ganz deutlich durch mein Schränkchen hindurch. Ich wette, die sind
nur neidisch, weil sie nur so ein hässliches Ikea-Ding zu Hause haben.
24 Sep 2019
## AUTOREN
Morgane Llanque
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