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# taz.de -- Die Dreierkoalition des Schreckens
> Das gnadenlose Bündnis aus CDU, FDP und Schill-Partei zerbrach in Hamburg
> zwar nach nur gut zwei Jahren – machte aber den Rechtspopulismus hoffähig
Von Sven-Michael Veit
Noch nie entschieden sich in Hamburg an einem einzigen Tag so viele
politische Schicksale wie am 29. Februar 2004. Gleich drei Parteien flogen
aus der Bürgerschaft und eine errang die absolute Mehrheit – eigentlich
eher ihr Spitzenmann allein. Es war der Tag, als CDU-Bürgermeister Ole von
Beust, dessen Wahlkampf unter dem schlichten Motto „Michel.Alster.Ole.“
inszeniert worden war, zum „Olemeister“ wurde, wie die taz ihn nach seinem
Erfolg zu taufen sich erlaubte.
Die Taktik einer „Bürgermeisterwahl“, zu der die CDU den Urnengang nach dem
Scheitern der Schwarz-Schill-FDP-Dreierkoalition stilisiert hatte, war
aufgegangen. Der Sieg des „Programms Ole“ mit 47,2 Prozent der Stimmen und
63 von 121 Mandaten war von historischer Dimension. Zum ersten Mal nach 20
Jahren regierte in Hamburg wieder eine Partei mit absoluter Mehrheit, und
zum allerersten Mal war es die CDU.
Damit setzte sich die Umwälzung politischer Verhältnisse fort, die bei der
Bürgerschaftswahl am 23. September 2001 mit der Ablösung der SPD nach
44-jähriger Dauerherrschaft begonnen hatte. Und zwar auf Kosten seiner
Helfershelfer: Ronald Schills ursprüngliche „Partei Rechtsstaatlicher
Offensive“, die neue Schill-Partei „Pro Deutsche Mitte“ und auch die FDP
wurden vor die Rathaustür geschickt.
Die Männer mit den einfachen Antworten mussten zurück an die Biertische,
von denen sie kamen. Allen voran „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill, wie der
damals 42-jährige Jurist von der Boulevardpresse genannt wurde. Mit grotesk
harten Urteilen, die oftmals von der nächsten Instanz gemildert wurden,
hatte der Amtsrichter im Jahr 2000 eine hysterische Diskussion über die
innere Sicherheit in Hamburg ausgelöst. Als dann noch bekannt wurde, dass
mehrere Attentäter des 11. September als Studenten in Hamburg gelebt
hatten, war Schills Höhenflug nicht mehr zu stoppen. Mit 19,4 Prozent zog
seine frisch gegründete Partei in das Landesparlament und zusammen mit CDU
und FDP in den Senat ein, der Rechtspopulist wurde Zweiter Bürgermeister
und Innensenator. Seine erste Amtshandlung: Abschaffung der
Polizeikommission, die er als Misstrauensgremium gegen aufrechte Polizisten
verunglimpfte. Seine einzigen Verdienste, wenn man so will: Die Polizei
wurde blau und der grüne Rechtsabbiegerpfeil an Ampeln kam –na ja, und ging
auch wieder.
Nach vielen Querelen brach der Dreierbund im August 2003 wieder
auseinander. Bürgermeister von Beust entließ Schill, der gern mal einen
durch die Nase zog und selbst im Rathaus bisweilen mit einer Waffe im
Schulterholster herumlief. Schills Partei machte noch ein halbes Jahr ohne
ihn weiter, dann kollabierte die Koalition CDU, FDP und Schill-Partei aber
endgültig.
Die Neuwahl Ende Februar 2004 versetzte die CDU in einen vier Jahre
währenden Höhenrausch. Die Ängste aber und die gesellschaftlichen
Befindlichkeiten, welche Schill und seine Partei in Parlament und Senat
gespült hatten, waren damit nicht verschwunden. Heutzutage treiben sie, zum
Beispiel in Gestalt des langjährigen Schillianers Dirk Nockemann als
Partei- und Fraktionschef der Hamburger AfD, weiter ihr politisches
Unwesen.
Und Schill selbst, der als Zweiter Bürgermeister nach eigenem Bekunden
schon mal vorzeitig die prunkvolle Matthiae-Mahlzeit, alljährlicher
gesellschaftlicher Höhepunkt im Rathaus, vorzeitig verließ, um spätabends
zu einer Sexparty nach Wuppertal zu rasen, treibt es privat umso
niveauloser.
Von seiner Richterpension lebt er in Rio de Janeiro in der Favela
Pavãozinho (Kleiner Pfau) über der Copacabana. Bei RTL verdiente er sich
ein paar Euro dazu, erst im Promi-Big-Brother-Container und später
splitternackt in der Kuppel-Show „Adam sucht Eva“ auf einer einsamen
Südsee-Insel. „Der Provokateur“ hieß seine 2014 erschienene Autobiografie.
Darin fasste Schill sein Leben in einem Satz zusammen: „Mein Schwanz brach
mir das Genick.“
Es war das Verdienst der Hamburger CDU und auch das Verdienst von Ole von
Beust, den Rechtspopulismus in Hamburg hoffähig gemacht zu haben. In einer
Dreierkoalition des Schreckens.
7 Sep 2019
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
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