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# taz.de -- Selbstabfüllung in Sessel-Landschaft
> Immer mehr Geschäfte bieten Lebensmittel ohne Plastik- und
> Papierverpackungen an. Darunter das „Füllkorn“ in Bremen, das längst ü…
> eine treue Stammkundschaft verfügt
Bild: Behältnisse zum Abfüllen können auch geliehen werden: das „Füllkorn…
Von Florian Fabozzi
Beim Eintreten fallen als erstes die rustikalen Holzmöbel auf und der Duft
von frisch gebrühtem Kaffee. Das „Füllkorn“ ist eines von drei
Unverpackt-Läden in Bremen. Im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit wird
hier bewusst auf Plastik und Papier verzichtet, die Produkte werden in
Glasbehältern und Holzkästen aufbewahrt. Kund*innen können sich die
gewünschte Menge einzelner Lebensmittel per Hebeldruck abfüllen.
Getreide, Nusskerne, Teigwaren oder Müsli lassen sich hier genauso kaufen
wie frisches Gemüse. Selbst Reinigungsmittel kann man sich abfüllen.
Abgerechnet wird am Ende nach Gewicht: Jeder füllt sich nur so viel ab, wie
er oder sie benötigt. Wer keine eigenen Behälter zur Hand hat, kann sich
vor Ort Gläser ausleihen.
Das Konzept der Unverpackt-Läden erfreut sich wachsender Beliebtheit: 2013
wurde in Kiel der erste Unverpackt-Laden Deutschlands eröffnet – heute sind
es bereits 120 Läden an der Zahl. Allein in diesem Jahr sind nach Angaben
des „Unverpacktverbandes“ weitere 60 Läden geplant. Ulf Sawatzki, Inhaber
des „Füllkorn“, ist von dem Boom überwältigt: „Die Einnahmen des Ladens
stehen weit über dem, was ich prognostiziert hatte.“
Das Füllkorn gibt es seit April 2018, die Hauptzielgruppe sind junge
Eltern, denen es wichtig ist, beim eigenen Konsum „keinen Footprint zu
hinterlassen“, wie Sawatzki sagt. Damit die Eltern auch ihre Kinder
mitbringen können, hat er eine Aufenthaltsecke mit bequemen Sesseln
eingerichtet. Dort können die Kinder malen und die Eltern Magazine lesen
und Kaffee trinken. Sein Laden solle „auch ein Ort der Entschleunigung“
sein, erklärt Sawatzki. Das Konzept kommt gut an: Längst hat sich ein Stamm
fester Kund*innen gebildet. „Vor einem Jahr kamen 50 bis 60 Leute pro Tag“,
sagt Sawatzki, „heute sind es bis zu 100 Menschen.“
Den Erfolg dieses Konzepts sieht der 38-Jährige in der fortschreitenden
gesellschaftlichen Sensibilisierung für Umweltthemen. Diese beginne schon
zu Hause: „Irgendwann nervt es die Menschen, zu sehen, wie schnell sich ihr
Gelber Sack füllt.“ Sie kämen an einem Punkt, an dem sie ihren Müll
reduzieren wollten. Der Einfluss von Medien und Freund*innen tue sein
übriges. Sawatzki vermutet, dass nicht zuletzt die Bewegung „Fridays for
Future“ für Kundenzuwachs gesorgt hat: „Zumindest kommen am Freitag mehr
Menschen als sonst.“
Auch die Herkunft der Lebensmittel spiele eine große Rolle. Die meisten
Produkte stammen aus dem Umland von Bremen, etwa vom Hof Steding in Bassum.
Einzig Kurkuma, Zitronen, Ingwer und Bananen importiere er von außerhalb
Deutschlands.
Dadurch, dass Sawatzki seine Produkte nicht einzeln, sondern in großen
Gebinden einkauft, erhält er Rabatte und kann seine Waren günstiger
anbieten als etwa Bio-Discount-Ketten. Zudem können die Kunden hier viel
bedarfsgerechter einkaufen. „Viele Leute bringen ihre Rezepte mit und
kaufen nur exakt die Mengen, die sie für ihre Mahlzeit benötigen.“ So staue
sich daheim nichts an und man zahle nur für das, was man braucht.
Konkurrenzdenken zwischen Unverpackt-Läden gebe es nicht, sagt Sawatzki.
Vielmehr kooperiert er mit dem Unverpackt-Laden “L’Epicerie Bio“, der
ebenfalls in der Bremer Neustadt ansässig ist. „Wir bestellen uns auch mal
gegenseitig Produkte“, sagt er. Ganz bewusst hätten beide Läden
unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. So sei „L’Epicerie Bio“ mehr auf
französische Produkte spezialisiert und habe demnach ein etwas anderes
Sortiment.
Um mehr Kund*innen den Einkauf in seinem Geschäft und damit verbunden eine
umweltbewusste Ernährung zu ermöglichen, hat Sawatzki eine
Solidaritätskasse eingeführt, in die kaufkräftigere Kund*innen ihr
Wechselgeld hineinwerfen können. Einkommensschwächere Menschen dürfen sich
im Bedarfsfall aus dieser Kasse bedienen, so der Grundgedanke. Sobald die
Solidaritätskasse etwas voller ist, möchte Sawatzki bedürftigen Kund*innen
anbieten, 50 Prozent ihres Einkaufs aus dieser Kasse zu bezahlen. Auch
Studierende, die einen großen Teil des Kundenstammes ausmachen, sollen
künftig noch günstiger einkaufen: Sawatzki plant, ihnen an zwei Tagen in
der Woche einen Rabatt von zehn Prozent zu gewähren. Wann das umgesetzt
wird, stehe jedoch noch nicht fest.
Die Geschichte des Füllkorns begann vor drei Jahren in Indonesien.
Sawatzki, damals noch Biologiestudent, war dort als Umweltschützer aktiv
und blickte in die Abgründe einer Wegwerfgesellschaft. „Mit täglich zwei
Plastiktüten pro Kopf hatte Indonesien den höchsten Plastikverbrauch
weltweit“, erinnert sich Sawatzki. In einer Kunstausstellung sah er
Staudämme aus Plastikmüll und Seen, die als solche nicht mehr zu erkennen
waren.
Sawatzki machte sich auf die Suche nach „Alternativen zum konventionellen
Konsum“, wie er sagt. Mit Hilfe privater Investoren gelang es ihm
schließlich 2018, eine leerstehende Ladenfläche in der Neustadt zu mieten.
Einschlägige Erfahrungen im Führen eines solchen Geschäfts hatte Sawatzki
nicht, er besuchte lediglich ein Seminar, das der Inhaber eines Mainzer
Unverpackt-Ladens anbot.
Aufgrund seiner eigenen positiven Erfahrungen rät Sawatzki umweltbewussten
Kund*innen dazu, „die Eröffnung eines eigenen Ladens in Betracht zu
ziehen“. Und tatsächlich steht der nächste Unverpackt-Laden in Bremen
bereits in den Startlöchern: Am Rande des Bürgerparks soll die „Füllerei
Findorff“ eröffnen. Wenn alles nach Plan läuft, ist es zu Beginn des
kommenden Jahres so weit.
14 Sep 2019
## AUTOREN
Florian Fabozzi
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