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# taz.de -- Falsche Leute
> Was ist nur los mit der Deutschen Bahn? Arno Luik rechnet ab
Von Anja Krüger
Die Jüngeren werden es kaum glauben, aber so war das mal bei der Bahn:
Eisenbahner liebten ihren Beruf, und wenn der Zug drei Minuten zu spät kam,
schämten sie sich. In der deutschen Provinz konnte man am Bahnschalter eine
Fahrkarte bis Wladiwostok kaufen. Von jeder bundesdeutschen Stadt mit mehr
als 20.000 Einwohnern aus war jeder Ort in der Republik mit dieser
Mindestgröße zweimal täglich erreichbar.
Daran erinnert Arno Luik in seinem Buch „Schaden in der Oberleitung“. Es
ist die Abrechnung eines verlassenen Liebhabers, der sich an der schönen
Vergangenheit weidet, um an der tristen Gegenwart umso mehr zu leiden. Den
Sohn des ehemaligen Bahnhofvorstehers von Königsbronn schmerzt die Misere –
die Verspätungen, das wirre Preissystem, die verkommenen Bahnhöfe, die
unfähigen Manager, die unwilligen Politiker. „Soll die Bahn in Deutschland
nie so attraktiv werden, dass sie der Autoindustrie gefährlich wird?“,
fragt er. Jedenfalls wird Autofahren immer bequemer, während sich die Bahn
zurück in die „Bequemlichkeit der Holzklasse“ entwickelt.
Luik ergründet das Elend. Im Megaprojekt Stuttgart 21 sieht er ein Symbol
für den Niedergang der Bahn. Mit viel Liebe fürs Detail zeichnet er nach,
wie dieses Wahnsinnsvorhaben aus den Fugen geraten ist. „S21, das wissen
heute alle: ökonomisch ein Desaster. Ökologisch: unverantwortbar.
Sicherheitstechnisch: lebensgefährlich“, bilanziert er.
Noch 1999 erwirtschaftete die Bahn 95 Prozent ihres Umsatzes im Inland.
Dann bekam der Haudegen Hartmut Mehdorn für zehn Jahre das Sagen beim
Staatskonzern Bahn, ins Amt gehievt von der damaligen rot-grünen
Bundesregierung. „Unglaublich viel Schaden hat dieser Mann angerichtet“,
urteilt Luik. Mehdorn kaufte auf der ganzen Welt ein, führte rigide
Managementmethoden ein, verpasste dem Konzern ein verworrenes Geflecht von
Tochterunternehmen. Heute macht die Bahn mit ihren Bussen den Zügen in
vielen Ländern Europas Konkurrenz, ist im internationalen
Luftfrachtgeschäft stark und Marktführer im Schiffsverkehr zwischen China
und den USA. Die Expansion hat Unsummen Geld verschlungen. Geld, das für
Instandhaltung und Modernisierung des deutschen Bahnnetzes fehlt. Seit 1998
ist die Zahl der Verbindungen im Fernverkehr um 20 Prozent gekürzt worden,
mehr als 100 Städte wurden vom Fernverkehrsnetz abgehängt, internationale
Direktverbindungen gekappt.
Auch mit dem „eitlen, selbstverliebten“ Mehdorn-Nachfolger Grube geht Luik
hart ins Gericht. Der aktuelle Bahnchef Richard Lutz hat von Selbstlob auf
Kritik umgeschaltet, und lässt keine Gelegenheit aus, den Konzern zu
geißeln. Doch hinter diesem Strategiewechsel könnte neues Ungemach lauern,
fürchtet Luik. Denn Lutz ist Anhänger der Bahnprivatisierung. Die
Aussichten sind also schlecht.
7 Sep 2019
## AUTOREN
Anja Krüger
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