# taz.de -- Dreierkoalitionen sind keineswegs zum Scheitern verdammt | |
> Parteienforscher Lothar Probst über die Lehren aus der Dreierkoalition | |
> in Bremen, in der sich der grüne Umweltminister Ralf Fücks mit dem | |
> FDP-Mann Claus Jäger zerstritt | |
Von Lothar Probst | |
Durch die Fragmentierung des Parteiensystems mit mehr Parteien, die die | |
Fünfprozenthürde überspringen, und insbesondere die Wahlerfolge der AfD | |
kommt es immer häufiger zu Dreierkoalitionen auf Landesebene. Geht man | |
davon aus, dass auch in Sachsen und Brandenburg mit hoher | |
Wahrscheinlichkeit Dreierkoalitionen gebildet werden, gibt es auf | |
Landesebene inzwischen genauso viele Dreierkoalitionen wie klassische | |
Zweierkoalitionen – und zwar in unterschiedlichen Farbkombinationen. | |
Im Farbspektrum sind dann Linkskoalitionen, Kenia-Koalitionen, eine | |
Jamaika-Koalition und eine Ampelkoalition vertreten. Dabei sind | |
Kenia-Koalitionen in Ostdeutschland gewissermaßen das letzte Aufgebot | |
demokratischer Parteien, um Regierungen ohne die AfD zu bilden. Auch auf | |
Bundesebene wäre es fast zu einer lagerübergreifenden Dreierkoalition | |
gekommen, wenn die FDP nicht gekniffen hätte. Mit Blick auf die Entwicklung | |
des Parteiensystems lässt sich insofern sagen, dass das Abschmelzen der | |
Volksparteien und das Vordringen der AfD zu einer Europäisierung des | |
deutschen Parteiensystems geführt hat. In den Niederlanden war die Tendenz | |
zu Mehrparteienkoalitionen schon in den 1990er Jahren zu beobachten. | |
Inzwischen sind dort oft nur noch Viererkoalitionen möglich. | |
Bisher gibt es in der deutschen Parteien- und Koalitionsforschung kaum | |
systematische Analysen von Dreierkoalitionen und den Bedingungen ihres | |
Funktionierens beziehungsweise Scheiterns. Das liegt daran, dass es in | |
Deutschland seit den 1990er Jahren – bis auf drei Ausnahmen – kaum eine | |
Tradition solcher Koalitionen gab. | |
Bei der ersten Landtagswahl in Brandenburg 1990 bildeten SPD, FDP und | |
Bündnis 90 eine Dreierkoalition. Ein Jahr später kam es im kleinsten | |
Bundesland Bremen ebenfalls zu einer Ampelkoalition. Auslöser war damals | |
der Einzug der rechtsextremen DVU in Fraktionsstärke in die Bremische | |
Bürgerschaft. Für eine rot-grüne Mehrheit war es denkbar knapp, und um eine | |
Große Koalition zu vermeiden, näherten sich in einem mühsamen Prozess SPD, | |
Grüne und FDP an, um die erste Ampelkoalition in einem westdeutschen | |
Bundesland zu bilden. Danach gab es eine lange Karenzzeit, bis es im | |
Oktober 2009 zu ersten Jamaika-Koalition im Saarland kam. | |
Aus koalitionspolitischer Perspektive ist das Scheitern aller drei | |
Experimente auf jeweils spezifische Gründe zurückzuführen. In Brandenburg | |
war die Sollbruchstelle die Frage, ob und wenn wie intensiv | |
Ministerpräsident Stolpe von der SPD mit der Stasi zusammengearbeitet | |
hatte. Das berührte die Glaubwürdigkeit des aus der Bürgerrechtsbewegung | |
kommenden Bündnis 90. | |
Im Saarland war die zunehmende Regierungsunfähigkeit der FDP und ihrer | |
Minister der entscheidende Faktor für das vorzeitige Scheitern. | |
Das frühzeitige Ende der Ampelkoalition in Bremen verdient eine genauere | |
Betrachtung. In allen drei beteiligten Parteien der Ampel hatte es zunächst | |
Widerstände gegen ein solches Experiment gegeben. In der SPD liebäugelten | |
einige lieber mit einer Großen Koalition, in der FDP hatte man Angst, von | |
den beiden Parteien aus dem linken Lager in einer solchen Koalition an die | |
Wand gedrückt zu werden, und innerhalb der Basis der Grünen gab es große | |
Vorbehalte gegen ein Bündnis mit der wirtschaftsfreundlichen FDP. | |
## Koalition trotz Bauchschmerzen | |
Trotz der Bauchschmerzen in allen drei Parteien einigte man sich Ende 1991 | |
auf eine gemeinsame Koalition, um – so das Framing – „die | |
sozialdemokratische, ökologische und liberale Strömung der Gesellschaft“ | |
in einem Bündnis zusammenzubringen. Die Ampel wurde sogar von einigen als | |
zukunftsweisendes Modell gepriesen. | |
Als Hürde stellte sich jedoch zunächst die grüne Basis heraus, die in einer | |
Mitgliederversammlung die angestrebte Koalition platzen ließ. Die FDP | |
wiederum beharrte auf einer Art Veto bei allen umstrittenen Entscheidungen. | |
Erst nach langem Tauziehen und einer Art Denkpause machte die grüne Basis | |
in einer zweiten Mitgliederversammlung per Mehrheitsentscheid den Weg für | |
die Ampelkoalition doch noch frei. | |
Dennoch scheiterte die Koalition vorzeitig an der sogenannten | |
Piepmatzaffäre, eine beschönigende Bezeichnung für den Konflikt um die | |
Anmeldung von Vogelschutzgebieten bei der EU. Die FDP fühlte sich von den | |
Grünen übergangen und unterstützte, im Bündnis mit Teilen der SPD-Fraktion, | |
einen Misstrauensantrag der CDU gegen den grünen Umweltsenator Ralf Fücks. | |
Ein entscheidender Fehler war, dass man bereits im Vorfeld feststehende | |
Konflikte im Koalitionsvertrag ausgeklammert oder nur als Prüfauftrag | |
formuliert hatte. Außerdem fehlte es an einer ausreichenden Moderation der | |
drei unterschiedlichen Partner durch den SPD-Senatspräsidenten. Gerade in | |
solchen Bündnissen kommt es vor allem auf den stärksten Partner und seine | |
Fähigkeit zur Moderation und rechtzeitigen Konfliktbereinigung an. | |
Des Weiteren muss die Chemie zwischen den entscheidenden Akteuren einer | |
solchen Dreierkoalition stimmen, damit sie funktioniert. Auch daran | |
mangelte es der Bremer Ampel-Koalition, in der die beiden Alphatiere Claus | |
Jäger von der FDP und Ralf Fücks von den Grünen immer wieder | |
aufeinanderstießen. | |
Darüber hinaus scheint es sinnvoll zu sein, lagerübergreifende Koalitionen | |
als Ergänzungs- und nicht als Schnittmengenkoalition anzulegen. Jeder der | |
Partner in einer solchen Koalition muss die Möglichkeit haben, sich auf | |
seinem Gebiet zu profilieren, ohne dies auf dem Rücken der anderen Partner | |
auszureizen. Die Bremer Ampelkoalition war zu sehr als | |
Schnittmengenkoalition angelegt. | |
Wie man es besser machen kann, lässt sich in Schleswig-Holstein beobachten. | |
Die dortige Jamaika-Koalition funktioniert dank der moderierenden Rolle von | |
Ministerpräsident Daniel Günther relativ gut. Außerdem ist der | |
Koalitionsvertrag so angelegt, dass jede der drei Parteien ihre | |
Profilierungsmöglichkeiten hat. | |
Dreierkoalitionen sind insofern keineswegs zum Scheitern verdammt, sondern | |
es kommt darauf an, wie man sie anlegt, wie die personellen Konstellationen | |
sind und welche Kompromissbereitschaft die sie tragenden Kräfte mitbringen. | |
7 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Lothar Probst | |
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