# taz.de -- heute in bremen: „Eine transnationale Geschichte“ | |
Interview Florian Fabozzi | |
taz: Herzlichen Glückwunsch zur Goethe-Medaille. Inwieweit kann Literatur | |
Ihres Erachtens zur Völkerverständigung beitragen? | |
Doğan Akhanlı: Es geht mir beim Schreiben nicht in erster Linie um | |
Völkerverständigung, sondern um eine gute Geschichte. Trotzdem ist es mir | |
durch meine Werke gelungen, einen Dialog mit den Nachfolgegenerationen der | |
armenischen Genozidopfer herzustellen. | |
Wie sind Sie auf die Themen gekommen, die Sie in Ihrem Neulingswerk | |
„Madonnas letzter Traum“ behandeln? | |
Ich wollte zwei historische Verbrechen miteinander verknüpfen: Die | |
Ermordung des Autors Sabahattin Ali, dessen Werk „Die Madonna im | |
Pelzmantel“ als Vorlage diente, und die Versenkung des jüdischen | |
Flüchtlingsschiffes „Struma“ 1942 vor Istanbul. Ali wurde 1948 an der | |
türkisch-bulgarischen Grenze auf seinem Weg ins Exil von einem Angehörigen | |
des türkischen Geheimdienstes erschlagen. Der Roman legt Ali als letztes | |
Geständnis in den Mund, seine jüdische Romanheldin Maria Puder sei in | |
Wahrheit anders gestorben als in seiner Novelle. Mein Roman deckt nun die | |
„wahre“ Geschichte des Lebens und Todes von Maria Puder auf – als verfolg… | |
Jüdin in der NS-Zeit. | |
Wie sind Sie darauf gekommen, aus der Liebesgeschichte „Madonna im | |
Pelzmantel“ einen historischen Roman über die Judenverfolgung zu machen? | |
Maria Puder ist eine jüdische Figur und ich wollte schon länger die | |
Judenverfolgung als eine „transnationale“ Geschichte erzählen, die über d… | |
deutsch-jüdischen Fokus hinausgeht. | |
Wie nah an der Wahrheit ist Ihr neuestes Werk? | |
Ich habe fast wie ein Historiker über die NS-Zeit in Europa, besonders in | |
Deutschland, in Frankreich, in Polen, in Rumänien recherchiert. Fiktiv sind | |
unter anderem die Figuren Maria Puder und der namenlose Schriftsteller, der | |
im Roman die Novelle Alis liest. | |
Da sie das Versinken des Flüchtlingsschiffes Struma vor Istanbul 1942 | |
thematisieren, denkt man unweigerlich an die jetzige Situation im | |
Mittelmeer: Wie viel hat ihr Buch mit der Lage vor den Küsten Europas zu | |
tun? | |
Als ich den Roman geschrieben habe, war die Krise im Mittelmeer noch nicht | |
so präsent. Mit meinem Roman möchte ich vor allem auf die Mitverantwortung | |
und die Ignoranz der Länder hinweisen, die sich bis heute der Verantwortung | |
für die Judenverfolgung während der NS-Zeit entziehen. Die Türkei, die den | |
jüdischen Geflüchteten damals Asyl verwehrte, gehört zu diesen Ländern. | |
Wie wird in der Türkei mit den Geschehnissen umgegangen? | |
Die Türkei unter der aktuellen Regierung ist nicht bereit, Verantwortung | |
für die Verbrechen der Vergangenheit zu übernehmen. Sie gibt den Europäern | |
die Schuld oder stellt sich selbst als Opfer dar. | |
Wird ihr neues Werk in der Türkei Beachtung finden? | |
Erstmal gar nicht, die Zeit ist noch nicht reif dafür. | |
3 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Florian Fabozzi | |
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