# taz.de -- Friede dem Thunfisch | |
> Die Deutschen essen wieder mehr Thunfisch, obwohl beim Fang weiterhin | |
> Delfine und Haie als Beifang sterben. Der Dorschin der Ostsee steht vor | |
> dem Kollaps, und nach dem Brexit könnten deutsche Fischer Fangrechte in | |
> der Nordsee verlieren | |
Bild: Nachhaltig aus dem Meer geholt: Mit Angelleinen aus offenen Booten gefang… | |
Von Sven-Michael Veit | |
Ausgerechnet den Thunfisch haben die Deutschen zum Fressen gern. Erstmals | |
lag der große Schwarmfisch 2018 im Ranking der meist verzehrten Fische noch | |
vor dem Hering auf dem dritten Platz. Das geht aus dem Jahresbericht des | |
Fisch-Informationszentrums (FIZ) mit Sitz in Hamburg hervor. Auf fast 15 | |
Prozent ist sein Marktanteil gestiegen, zwei Jahre zuvor lag er noch unter | |
zehn Prozent. An die 90.000 Tonnen importierte Deutschland im vorigen Jahr, | |
hauptsächlich aus Ecuador, den Philippinen und Papua-Neuguinea. 2016 waren | |
es weniger als 70.000 gewesen. | |
Und diese Steigerung ist ein Problem, sagt Thilo Maack, Meeresexperte bei | |
Greenpeace: „Viele Bestände, vor allem Gelbflossenthun und Großaugenthun, | |
sind bereits überfischt“, sagt er. Und zweitens gebe es immer noch massiven | |
Beifang, auch von Delfinen. „In den 1980er-Jahren waren es noch mehr als | |
100.000 Delfine im Jahr, die in den Netzen ertranken“, sagt er, „jetzt sind | |
es nur noch einige Tausend – aber natürlich immer noch viel zu viele.“ | |
Deshalb war Thunfisch für kritische VerbraucherInnen lange tabu, auch im | |
Nizza-Salat im Restaurant. Aber das ändert sich offenbar. Der hierzulande | |
zumeist in Konserven und Salaten angebotene Thunfisch sei „zu nahezu 100 | |
Prozent“ Delfin-freundlich gefangen worden, beteuert FIZ-Geschäftsführer | |
Matthias Keller. | |
Für Maack ist das reine Legende. Die größten Thun-Schwärme würden im | |
Ostpazifik mit Ringwadennetzen gefangen, „eine extrem unnachhaltige | |
Fangmethode“, sagt Maack. Denn dabei würden zu junge Thunfische, die sich | |
noch nicht reproduzieren konnten, aber auch Schildkröten, Haie, Rochen, | |
Delfine und sogar Walhaie mitgefangen und verletzt oder getötet. Zudem | |
herrschten an Bord der Fangflottten aus armen Ländern wie Vietnam oder | |
Thailand „zumeist menschenunwürdige Zustände“, sagt Maack: „Das ist mod… | |
Sklaverei.“ | |
Wer dennoch Thunfischkonserven kaufen wolle, solle zumindest auf ein | |
Minimum an konkreten Angaben auf den Dosen achten, rät er. Der | |
wissenschaftliche Artname, Fanggebiet und Unterfanggebiet, Fangmethode und | |
Zeitpunkt seien die Mindesterfordernisse, sagt Maack: „Sonst Finger weg vom | |
Thunfisch.“ Und von der Ringwadenfischerei sowieso. | |
Der auf deutschen Tellern begehrteste Fisch war 2018 erneut der | |
Alaska-Seelachs, der vor allem zu Fischstäbchen verarbeitet wird, mit einem | |
Marktanteil von 18,4 Prozent. Eigentlich heißt er Pollack und gehört zu den | |
Dorschen, wird aber fast ausschließlich unter dem Handelsnamen Seelachs | |
verkauft. Es folgen Zuchtlachs (15,4 Prozent) und eben erstmals Thunfisch | |
(14,4 Prozent) vor Hering (13,6 Prozent) und Garnelen aller Art (7,4 | |
Prozent). | |
Tendenziell werde Fisch immer teurer werden, fürchtet Keller vom FIZ. Im | |
vorigen Jahr ist der Verbrauch in Deutschland nur um 0,2 Prozent gestiegen, | |
der Umsatz aber um 5,9 Prozent. Mit 3,9 Milliarden Euro gaben die Haushalte | |
dafür deutlich mehr Geld aus als je zuvor. „Die Nachfrage weltweit steigt, | |
weil die Bevölkerung wächst“, sagt Keller. Ein „knapperes Angebot“ an | |
Fischen gebe es aber nicht. | |
2018 hat sich demnach der Pro-Kopf-Verzehr in Deutschland von 14,1 auf 14,4 | |
Kilogramm erhöht, hat das FIZ errechnet, gut die Hälfte davon wird im | |
Restaurant oder an der Imbissbude gegessen. Für den heimischen Tisch kaufen | |
unverändert die Fischköppe im Norden am meisten Fisch. An der Spitze liegt | |
Hamburg mit jährlich 6,5 Kilogramm pro Kopf vor Schleswig-Holstein (6,1) | |
und Mecklenburg-Vorpommern (5,5). Bremen folgt auf Platz 6 mit 5,5 | |
Kilogramm, Niedersachsen liegt mit 5,1 auf dem achten Platz. | |
Im internationalen Vergleich ist das aber wenig. Der Weltdurchschnitt liegt | |
mit 19,3 Kilogramm pro Kopf deutlich höher als in Deutschland. In Ländern | |
wie Großbritannien, den USA oder Italien werden mehr als 20 Kilogramm Fisch | |
im Jahr verzehrt, in Frankreich, Schweden und China mehr als 30 Kilogramm. | |
Spitzenreiter ist Island mit einem jährlichen Verbrauch von mehr als 60 | |
Kilogramm Fisch pro Kopf. | |
Der Krabbenmangel in Nordsee und Nordost-Atlantik, der vor zwei Jahren | |
Krabbenbrötchen an der Küste zeitweise mehr als zwölf Euro kosten ließ, ist | |
laut FIZ überwunden: „Bei den Nordseekrabben verzeichneten die Fischer im | |
Jahr 2018 Rekordfänge“, sagt Keller. Dagegen haben Heringe und Dorsche in | |
der Ostsee nach seinen Angaben ein „Klimaproblem“: Die steigenden | |
Wassertemperaturen gefährdeten die Bestände. „Für die Ostseefischer ist das | |
eine Katastrophe“, so Keller. | |
Ende Juli hat die EU-Kommission deshalb einen Fangstopp für Dorsch in der | |
östlichen Ostsee zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Schweden und dem Baltikum | |
für den Rest dieses Jahres ausgesprochen. „Wir müssen rasch handeln, um den | |
Bestand zum Wohl der Fische und im Interesse der Fischer wieder | |
aufzufüllen“, hatte der zuständige EU-Kommissar Karmenu Vella erklärt. | |
Sonst drohten die Dorschbestände zusammenzubrechen. | |
Der Deutsche Fischereiverband mit Sitz in Hamburg nennt das „eine extreme | |
Sofortmaßnahme“. Zwar sei der Dorsch in der östlichen Ostsee „in einem | |
schlechten Zustand“, aber „nicht akut vom Aussterben bedroht“. Die | |
Entscheidungen der EU-Kommission seien deshalb „überzogen“. Leidtragende | |
seien vornehmlich die kleinen Berufsfischer, die nun ihre „Fangplanung in | |
die Tonne treten“ könnten, so der Fischereiverband. | |
Als weiteres Problem kommt auf die Fischerei und wohl auch die | |
VerbraucherInnen der für Ende Oktober erwartete Brexit zu. Fast der gesamte | |
Fang an Nordseeheringen stammt aus der britischen 200-Seemeilen-Zone – | |
gefangen wird er allerdings von kontinentalen Fischereiflotten. | |
„Großbritannien selbst hat kaum noch Schiffe dafür“, sagt Keller vom FIZ. | |
Das sieht Uwe Richter, Vorsitzender des Deutschen | |
Hochseefischereiverbandes, anders. Vor allem die schottische Flotte sei nur | |
halb ausgelastet, sagt er: „Wenn die künftig das ganze Jahr ungehindert | |
fischen dürfen, tun die das auch.“ | |
Deshalb sei zu befürchten, dass bei einem sogenannten „harten Brexit“ ohne | |
vertragliche Regelungen der Heringsfang anderer EU-Staaten vor | |
Großbritannien zum Erliegen kommt. Und das würden vor allem die Deutschen | |
als Hauptkonsumenten von Hering in der EU deutlich spüren. | |
Keller wie Richter hoffen jedoch selbst im Fall eines ungeregelten Brexit | |
auf eine Einigung zwischen der EU und den Briten, weil dies im | |
beiderseitigen Interesse liege. Eine Lösung wären Fanglizenzen. | |
Das Thünen-Institut für Seefischerei in Braunschweig, eine | |
Forschungseinrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, sagte im | |
vergangenen Jahr „deutliche Auswirkungen“ des Brexit auf die deutsche | |
Hochseefischerei voraus. Laut Thünen-Institut erzielen die deutschen | |
Schwarmfisch-Trawler bis zu 80 Prozent ihres Fangs und somit ihres Umsatzes | |
in britischen Gewässern. Sollte ihnen nach dem Brexit der Zugang verwehrt | |
werden, würde ein Großteil der Erlöse wegfallen. | |
Zudem würden die EU-Fangquoten obsolet – sie könnten in anderen | |
Fanggebieten gar nicht ausgeschöpft werden. Dies habe, so heißt es in der | |
Studie, „eine Analyse der Verbreitungsmuster der Fischbestände und der in | |
der Vergangenheit erzielten Fänge gezeigt“. | |
Im Handel mit Fischwaren indes exportiert Großbritannien schon jetzt mehr | |
in die EU als es von dort importiert. Somit hätte das Vereinigte Königreich | |
beim Marktzugang für Fischerzeugnisse deutlich mehr zu verlieren als die | |
EU. | |
Das Krisenszenario sieht demnach so aus: Deutsche, Dänen, Niederländer, | |
Franzosen und Iren dürfen in britischen Gewässern nicht mehr fischen, | |
weigern sich aus Rache aber, britischen Fisch zu importieren. Eine Folge: | |
Die Bestände von Kabeljau, Makrele, Hering und Scholle gesunden oder | |
steigen sogar kräftig an. | |
Eine weitere Folge könnte sein, dass auf dem Kontinent die | |
Verbraucherpreise explodieren, der Umsatz in der Fischindustrie wegbricht | |
und massiv Arbeitsplätze verloren gehen. Peter Breckling, Generalsekretär | |
des Deutschen Fischereiverbands, sieht diese Prognosen mit Unbehagen: „Was | |
nach einem harten Brexit am 31. Oktober passiert, ist vollkommen | |
unberechenbar.“ | |
24 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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