# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Zora Schiffer: Die Antwort auf all unser… | |
Eigentlich hatte ich vor, vom Ausgehen in Brandenburg zu schreiben. Doch | |
als wir am Samstag nach dem Abendessen aufbrechen ist schon alles | |
geschlossen und die Straßen von Britz sind leer. Maps sagt, dass auch | |
Eberswalde den Weg nicht wert sei. Nach der lustigen Exkursion kommen wir | |
zurück zum Haus und ich bemerke, dass ich meinen Berliner Wohnungsschlüssel | |
verloren habe. Merkwürdig. Die anderen suchen drinnen, ich im Garten. Eine | |
halbe Stunde lang tapse ich mit zusammengekniffenen Augen durch die Nacht. | |
Vor mir ein schwankender Kegel von Farben, ansonsten Dunkel. Ich höre | |
Mücken und irgendwo ein schnaubend trinkendes Pferd. Meine Mitbewohnerin | |
geht ans Telefon und kann mich wohl morgen reinlassen. | |
Trotzdem kann ich diese Nacht nicht schlafen. In rasenden Kreisen denke ich | |
an Kram und Sonnensysteme verschlingende schwarze Löcher, an letzte | |
Schwalben vor dem Fenster, ein Schatten der Vogelfülle von einst, an die | |
wissenden, mitfühlenden Augen des glänzenden Hengstes drüben beim Nachbarn. | |
Die Sonne geht auf und taucht das Zimmer, in dem ich zu Gast bin, in das | |
wunderschöne Ostseelicht. Gelb, orange, hellblau, pink. Ich entscheide, | |
aufzubrechen, hinterlasse einen Zettel auf dem Küchentisch, nehme mir ein | |
paar von den kleinen, sauren Äpfeln mit und laufe durch die frische, | |
mäandernde Hügellandschaft. Eine rastlose Nacht fordert einen rastlosen | |
Tag. Und dafür muss ich hier weg. Auf dem Weg zum Bahnhof kommt mir ein | |
junger blonder Mann in Malerkleidung entgegen und ein älteres Ehepaar in | |
einem Auto. | |
Sie schauen mich an und ich frage mich, wieso überhaupt, wenn es doch keine | |
Kommunikation gibt. Sie schauen mich an, aber ihr Blick ist leer und geht | |
durch mich durch. Ist es die noch nicht gestillte Kaffeesucht? Der morgens | |
überforderte Mensch, gefüllt von sich stauenden Gedanken und Listen, der | |
Körper kommt nur langsam hinterher und alles schreit schon nach Zigaretten, | |
Bier, Süß-Fettigem vom Bäcker! Die Bahnfahrt geht durch Nadelwälder, die | |
mich jedes Mal glücklich machen, weil sie mich an die Pinien an der | |
französischen Atlantikküste erinnern. Genau wie der sandige Boden. Doch die | |
bunte Morgensonne ist ganz anders hier im Nordosten. Sie macht mir | |
Hoffnung, weil sie sich nicht so drastisch zu verändern scheint wie die | |
Bäume, die Insekten und Vögel. Vielleicht auch, weil sie Neuanfang | |
bedeutet, jeden Tag. | |
Ich komme am Gesundbrunnen an. Es ist erst halb acht und ich spüre, wie | |
meine Ohren und Nase versuchen, sich von selbst zu schließen, als ich das | |
überwältigende Frühstücks- und Werbeangebot und diverse Gerüche durchquere, | |
um zur Ringbahn zu gelangen. Während sich auf dem stillen Land die Sinne | |
öffnen und ganz viel einsaugen, ballert hier so viel auf einen ein, dass es | |
ein ganz natürlicher Mechanismus ist, sich etwas einzukugeln. In der S-Bahn | |
kommt eine zitternde, bleiche Frau auf mich zugeschlurft und als ich sehe, | |
dass sie die Karuna verkauft, traue ich mich, sie anzulächeln. | |
Die aktuelle Ausgabe dreht sich um das Thema der Familie. Auf der ersten | |
Seite stellt die Redaktion der Obdachlosenzeitung jedes Mal ihr Motto vor, | |
die Bedeutung ihres Namens. Ich zitiere es hier, weil es für mich eine | |
Antwort auf all unsere Probleme bietet, ob Land oder Stadt, Mensch, Tier | |
oder Baum, wir alle brauchen und können das: „In Aldous Huxleys Roman | |
‚Eidland‘ wird von den Vögeln der fiktiven Insel Pala berichtet, die das | |
Wort Karuna rufen, um die Inselbewohner*innen täglich an Achtsamkeit und | |
Mitgefühl zu erinnern. Aktives Mitgefühl statt passivem Mitleid brauchen | |
wir – und das von den unterschiedlichsten Menschen. Lasst uns alle zusammen | |
darüber nachdenken, in welcher Welt und in welchem Berlin wir morgen und | |
übermorgen leben wollen.“ | |
27 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Zora Schiffer | |
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