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# taz.de -- Henning Harnisch Henningway: Sport erzählen
Über Sport gibt es viel zu erzählen. Allein, wie viele Sportarten und
Sportspiele es gibt! Und alle haben sie, welch Wunder, einen Ursprung und
eine Geschichte. So kam etwa Professor Naismith 1891 darauf, dass es eine
gute Idee sei, Pfirsichkörbe auf 3,05 Meter in der Sporthalle an der Empore
aufzuhängen, damit ein Lederball dort hinauf in eben diesen Korb geworfen
werden soll.
In jeder Sportart steckt eine Idee: Wer hat sich das Rhönrad ausgedacht,
die Frisbee oder (welch verrückter Professor) Cricket erfunden? Und wer
steigt in was ein, macht wo mit, bleibt warum dabei, wird was dauerhaft?
Wer Sportarten aktiv kennenlernt, der lernt deren Grundtechniken kennen:
Wie macht man das, wie geht das? Der Brustzug, der Schneepflug, die
Vorhand. Einer lernt, was es an Körperbewegungen braucht, um in den
jeweiligen Sport einzusteigen. Und fragt sich, bewusst oder unbewusst, ob
das Spaß macht, was er da tut?
Sportarten lassen sich wie ein Handwerk erlernen; beseelt geht das
leichter. Wie identitätsstiftend das ist, wenn jemand, der die
Evolutionsleiter ganz weit hinaufgeklettert ist, wie beispielsweise der
Schriftsteller John Irving von sich sagen kann: „Ich bin Ringer!“ Oder der
Filmemacher Spike Lee mit Fug und Recht behaupten kann: „Basketball ist
meins!“
Wer Sportarten kennen- und lieben lernt, steigt in eine Kultur ein, mit
Codes, Ritualen und Schwellen. Es ist etwas anderes, in einem Ruderclub
oder im Fußballverein sozialisiert worden zu sein. Eine Welt voller
Zeichen: Wie reich doch Skateboarden und Basketball medial aufgeladen sind!
Wie asketisch und konservativ dagegen Fechten oder Handball visualisiert
sind und gelebt werden.
Sport entwickelt sich an bestimmten Orten; er wandert als Fußball wie die
Religionen oder bleibt wie Pelota entschieden regional; er gedeiht, wie
Baseball in Kuba, an manchen Orten ganz besonders, während er woanders
überhaupt nicht wachsen will. Sport erzählt als Cricket oder Rugby den
Kolonialismus und als Rudern oder Tennis das aufkommende Bürgertum; Sport
erzählt von Rasse, Klasse und Geschlecht. Von Stadien über
Dorffußballplätzen bis hin zu den ikonischen Körben an US-amerikanischen
Garagen – Sport prägt Landschaften; man gehe nur einmal in deutschen
Universitätsstädten, die an Flüssen liegen, an deren Ufern entlang:
Sportfelder auf der dem Fluss abgewandten Seite und Wassersportvereine zum
Fluss hin geraten sukzessive in den Blick und prägen das Landschaftsbild
mit.
Andersherum bringen bestimmte Landschaften Sportarten hervor, die Berge das
Skifahren, das Meer das Surfen. Dementsprechend wird man, je nach
geografischer Lage eher etwas: in Oberhof eher dies und in Biarritz eher
das.
Sport generiert fortwährend Geschichte und schafft Geschichten, die selbst
erlebt und erfahren werden oder die einen medial vermittelt erreichen. Als
Beispiel sei hier nur der 70-seitige Prolog von Don DeLilllos Roman
„Unterwelt“ genannt, wo anhand eines Baseball-Spiels so vieles gleichzeitig
erzählt wird, dass einem schön schwindlig wird. Über Sport gibt es
unendlich viel zu erzählen! In welcher Form auch immer, als Fiktion oder
Dokumentation, als Literatur oder Film, als Essay oder Reportage. Mit
welchem Inhalt und welcher Methode auch immer, wie haupt- oder
nebensächlich, wie ökonomisch, technisch, politisch, historisch,
ästhetisch, soziologisch, Wie-Meta-auch-immer angelegt. Wie auch immer.
Passiert das fast nie. Hierzulande.
Der Autor ist früherer Basketballnationalspieler und heute Vizepräsident
des Bundesligisten Alba Berlin
22 Aug 2019
## AUTOREN
Henning Harnisch
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