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# taz.de -- Schon wieder Beweislast
> Trans Menschen in der Türkei haben es schwer. Nicht nur konservative
> Männer, sondern auch Feministinnen stellen ihre Rechte in Frage. taz
> gazete hat mit drei trans Menschen über ihre Erfahrungen gesprochen.
Bild: Midori Koçak hat Wonder Women gegründet. Sie unterstützt LGBTI im Bere…
Von Burçin Tetik
Über Jahrzehnte hinweg hatten trans Menschen in der Türkei kaum die
Möglichkeit, einer anderen Arbeit als Sexarbeit nachzugehen. Das ändert
sich allmählich. Doch mit zunehmender Sichtbarkeit von trans Menschen in
der Gesellschaft und in sozialen Medien werden transphobe Erzählungen
wieder aufgewärmt – sogar in feministischen Kreisen in der Türkei. In
jüngster Zeit haben mehrere feministische Akademikerinnen argumentiert,
trans Frauen genössen „männliche Privilegien“ und sollten aus Frauenräum…
ausgeschlossen werden. Taz gazete hat mit trans Menschen über die
praktischen Auswirkungen der transphoben Diskurse gesprochen. Drei
Protokolle.
Midori Koçak
„Es ist schwer, trans Frau zu sein. Ich hatte mein Leben lang keines der
männlichen Privilegien, von denen akademische Feministinnen jetzt sprechen.
Denn wenn du als trans Kind aufwächst, kommst du nicht in den Genuss der
Vorteile von Maskulinität. Feminine Kinder werden eben nicht gepusht,
sondern ausgegrenzt. Meine Mutter hat schon mitgekriegt, wie ich bin, als
ich noch ganz klein war, und mich überhaupt nicht so behandelt wie meinen
jüngeren Bruder. In der Arbeitswelt ist die Diskriminierung besonders hoch.
Einmal haben mich Polizisten auf der Straße herausgegriffen. Sie hielten
mich für eine Sexarbeiterin. Einer der Polizisten belehrte die anderen:
„Solche wie die müsst ihr alle durchficken.“
Ich lebe seit fünf Jahren in Tschechien. In Prag habe ich mit meiner
offenen Identität eine Stelle angetreten. Gemeinsam mit zwei männlichen
Ingenieuren. Gesprochen wurde aber nur mit denen. Ich wurde nicht zu
Meetings dazugeholt, ich wurde unterbrochen. Sobald ich mich etwas weiblich
anzog, hat niemand mit mir gesprochen. Am Ende hieß es, die Firma sei nicht
in der Lage, mir eine inkludierende Umgebung zu geben und ich sei im Team
isoliert. Das war dann ein Kündigungsgrund.
Überall werden trans Frauen ermordet, von welchen Privilegien sprechen wir
hier bitte? In den USA wird diskutiert, dass bei trans Frauen „genetische
Informationen“ darüber entscheiden sollen, welche Toiletten sie benutzen
dürfen. Wenn Tests über zivile Rechte entscheiden sollen, wird es
bedenklich. Gleichzeitig macht die Forschung Fortschritte, und in 40 Jahren
wird es vielleicht unmöglich, zu unterscheiden, wer trans ist und wer
nicht. Genau deshalb wollen sie auch trans Kinder in ihren Möglichkeiten
einschränken, denn deren Stimmen und Erscheinungsbilder unterscheiden sich
nicht von denen von cis Menschen.“
Ilgaz Yalçınoğlu
„TERFs merken nicht, dass sie mit ihren Äußerungen mit dem Leben anderer
Menschen spielen. Sie haben ein negatives Bild davon, trans zu sein oder
Hormone zu nehmen, aber sie sprechen nicht über den Stress, den eine
ungewollte, verhasste Entwicklung in der Pubertät bei Kindern auslöst.
TERFs denken, sie hätten Gender verstanden. Ich glaube, sie fürchten sich
davor, Frauen und Männer nicht mehr unterscheiden zu können, da sie ihre
Weltsicht und ihre akademischen Karrieren auf dieser Dichotomie aufgebaut
haben. Es fällt ihnen schwer, Realitäten jenseits der eigenen anzuerkennen.
Ich hatte mein Coming-Out gegenüber meiner Familie mit siebzehn. Eigentlich
muss man volljährig sein, aber mein Vater ist selbst Arzt. Deshalb bekam
ich die nötige ärztliche Begleitung, um sofort mit den Pubertätsblockern
anzufangen. Das hat mein Leben positiv verändert. Meine Angst, dass durch
Östrogen meine Brüste wachsen würden, verschwand. Mit den Blockern wurde
ich sofort ein offenerer Mensch, konnte besser Freundschaften schließen,
und allmählich klangen meine Depressionen ab. Ich war superschlecht in der
Schule gewesen, und selbst da holte ich auf.
Wenn wir also über das Suizidrisiko sprechen, ist es meiner Erfahrung nach
sehr viel besser, wenn junge Menschen Blocker benutzen, als dass sie in
schwere Depressionen verfallen. Mit vierzehn Jahren hörte ich auf zu essen,
um meine Monatsblutungen zu unterdrücken, und entwickelte Essstörungen. Das
war sozusagen ein Blocker, den ich mit meinen eigenen Methoden gefunden
hatte. Ich hatte eine sehr schwere Depression. Bei trans Kindern ist das
Suizidrisiko extrem hoch. Ich war Teil der Risikogruppe. Blocker und
Hormoneinnahme sind Errungenschaften, die nicht mehr zur Diskussion stehen
sollten.“
Diren Coşkun
„Als ich inhaftiert wurde, hätte ich eigentlich als trans Frau in ein
Frauengefängnis gebracht werden müssen. Da ich nicht operiert wurde, hat
der Staat meine Identität einfach ignoriert und mich in ein Männergefängnis
gesteckt. Dort wirst du jeden Tag von den Gefängniswärtern belästigt, ohne
dein Einverständnis fassen sie deinen Körper an. Es ist dort verboten,
Frauenkleidung zu tragen oder sich zu schminken. Bei der Ankunft im
Gefängnis werden die Haare der trans Frauen abgeschnitten, eigene Kleidung
wird beschlagnahmt. Schrecklich!
Auch meine Zellengenossin war eine trans Frau, aber die Gefängnisleitung
behandelte uns beide unterschiedlich. Während meine Haare lang bleiben
konnten, wurden ihre kurzgeschoren, ich durfte Brüste haben, sie nicht. Ich
habe dafür gekämpft und schließlich erreicht, dass ich nur noch mit einem
Scanner durchsucht werde, meine Freundin wurde weiterhin händisch
durchsucht. Meine Zellengenossin hat jeden Morgen geweint, während sie sich
rasierte.
Ein Mensch in dieser Lage kann mit dem Konzept „body positivity“ nichts
anfangen. In den Jahren, die sie im Gefängnis verbracht hat, wurden ihr
alle Rechte genommen, die sie zuvor erkämpft hatte. Und sie durfte nicht
über ihren eigenen Körper bestimmen. Als Frau wird sie dazu gezwungen, ihr
Dasein als Frau unter Beweis zu stellen. Warum müssen wir unser Frausein
unter Beweis stellen? Wenn wir uns nicht in Frauenräumen bewegen dürfen, wo
dann?
In Gefängnissen, in denen Kategorien binärer Geschlechtlichkeit und
Heterosexismus vorherrschen, ist es sehr schwer, unsere Bedürfnisse zu
erfüllen. Eine trans Frau zu sein hat nichts damit zu tun, ob man lange
oder kurze Haare, einen Bart oder keinen Bart trägt, ob man eine Vagina
oder einen Penis, Brüste oder keine Brüste hat. Ich finde das sehr
verletzend, wenn uns gesagt wird, wir würden die Welt als Männer erfahren.
Wir dekonstruieren Identitäten und bauen sie dann wieder auf. Dabei sollten
Menschen nicht gegen ihre eigene geschlechtliche Identifikation
kategorisiert werden. Ich kämpfe auch gegen das Patriarchat.“
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny und Volkan Ağar
24 Aug 2019
## AUTOREN
Burcin Tetik
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