# taz.de -- Ist Fisch essen jetzt auch tabu? | |
> Die Bestände in Nord- und Ostsee gehen zurück, in der östlichen Ostsee | |
> stehen die Dorsche vor dem Aussterben wie vor ihnen die Lachse, die | |
> Störe, die Aale, die Stinte und die Dornhaie, die zur Tarnung als | |
> „Schillerlocken“ verkauft werden. Und jetzt? 43–45 | |
Bild: Ungebrochener Andrang: Fischstand auf dem Hamburger Fischmarkt | |
Von Sven-Michael Veit | |
Natürlich darf mensch Fisch essen. Er ist im Grundsatz ein gesundes | |
Grundnahrungsmittel und hat eine weitaus bessere Umweltbilanz als das | |
Fleisch von Rindern, Schweinen, Hühnern oder Puten aus tierquälerischer | |
Folterhaltung. So allgemein, so gut, so richtig und so falsch zugleich. | |
Die moderne industrielle Fischerei ist ein Ausrottungsfeldzug gegen ganze | |
Arten und Populationen. In der östlichen Ostsee steht der Dorsch vor dem | |
Aussterben. Der jahrhundertelange „Brotfisch“ ganzer Generationen von | |
Küstenbewohnern wurde nicht selten an die zwei Meter groß und über einen | |
Zentner schwer – früher, als die Fangmethoden noch nachhaltig waren und die | |
Tiere große Chancen hatten, bis zu ihrem natürlichen Tod zu leben. | |
Heutige Dorsche werden kaum 50 Zentimeter lang und fünf Kilo schwer, dann | |
wird ihnen schon der Garaus gemacht. Ihr Schicksal scheint vorbestimmt: Sie | |
folgen den Lachsen, von denen es noch vor 200 Jahren in der Elbe so viele | |
gab, dass sie in Hamburg als Arme-Leute-Essen galten. Sie folgen den | |
Stören, diesen urzeitlich wirkenden, bis zu sechs Meter langen und zwei | |
Tonnen schweren Knochenfischen, denen ihr angeblich schmackhafter Laich | |
fast den Artentod bescherte. Sie folgen den Aalen, den Stinten, den | |
Sternrochen, mit ihnen vom Aussterben bedroht ist aktuell ein Drittel aller | |
Meeresbewohner – allein in Nord- und Ostsee. | |
Die Überfischung bestimmter Populationen ist aber nicht das einzige | |
Problem. Als Beifang sterben in Netzen und Reusen Krebse, andere Fische, | |
Schweinswale, Robben und Seevögel einen sinnlosen Tod. Pro Kilo Fisch auf | |
dem Teller, so lautet noch immer die Faustregel, wurde ein weiteres Kilo | |
Meerestiere sterbend oder schon tot wieder über Bord geworfen – eine | |
katastrophale Bilanz. | |
Und der dritte Punkt ist die Verschmutzung und Vermüllung der Meere. Die | |
1980er-Jahre, als noch bedenkenlos Chemikalien in Elbe und Nordsee gekippt | |
wurden und von Geschwüren übersäte Flundern in die Netze gingen, sind zwar | |
vorbei, nur sind die Belastungen andere geworden. Statt Blei und Cadmium | |
bedrohen heute Phosphor und Nitrite, Geisternetze und Mikroplastik die | |
marinen Biotope und ihre Bewohner. Eine durchgreifende Änderung und | |
Erleichterung ist nicht in Sicht. | |
All das wären Gründe zuhauf, keinen Fisch mehr zu essen. All das aber sind | |
in erster Linie Gründe, um unverantwortliches Verhalten von Menschen und | |
Gesellschaften zu ändern. Solange für einen Nizza-Salat Delfine, Walhaie | |
und Schildkröten geopfert werden, sollte niemand Thunfisch essen. Solange | |
Mangrovenwälder am Mekong für die Massenzucht von Pangasius vernichtet | |
werden, sollte niemand diesen eh geschmacksneutralen Billigfisch essen. | |
Solange die um 95 Prozent geschrumpften Bestände des Dornhais in der | |
Nordsee sich nicht erholt haben, sollte niemand Seeaal, Schillerlocken oder | |
Fish ’n’Chips essen – allesamt Produktnamen zur Verschleierung der wahren | |
Identität dieses vor der Ausrottung stehenden Knochenfisches. | |
Es muss gehen um eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, nicht um | |
ihre Vernichtung. Dazu gehören Meeresschutzgebiete, die diesen Namen auch | |
zu Recht tragen. Dazu gehört die effektive Kontrolle und Bestrafung von | |
Piratenfischern. Dazu gehört der achtungsvolle und bewusste Umgang mit | |
einem Nahrungsmittel, das mal ein lebendiges Tier war. Und dazu gehört die | |
Erkenntnis, dass in den Ozeanen keine Fischstäbchen schwimmen. | |
Denn nur wer das denkt, dem kann das Meer egal sein. Alle anderen haben die | |
Ozeane zu schützen, bevor sie sie nutzen. | |
24 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |