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# taz.de -- Ein paar zornige Schlucke Lindenblütentee
> Mit umgehängter Akustikgitarre den Blick in Richtung Maaßenstraße
> geheftet: David Bermans Geist erscheint in Schöneberg
Von Kristof Schreuf
Auf dem Nollendorfplatz stand der Geist von David Berman. Er hatte eine
schwarze Hose an, ein schwarzes Hemd und blaue Wildlederschuhe. Er trug
einen Vollbart, eine Brille, über der Stirn allmählich zurückweichendes
Haar und vor der Hüfte eine Akustikgitarre. Sein Blick ging in Richtung der
Maaßenstraße, wo er zu Anfang der achtziger Jahre, als er das erste Mal
nach Deutschland gereist kam, ein paar Tage in einem besetzten Haus gewohnt
hatte.
Damals mochte sich Bermans Mutter die Streitigkeiten ihres Sohnes mit
dessen Vater, einem Lobbyisten der Waffenproduzenten und der
Tabakindustrie, nicht länger anhören. Um ihn auf andere Gedanken zu
bringen, schickte sie den 14-Jährigen in den Sommerferien auf eine
Europareise. In Berlin übernachtete er bei einem mit den Eltern
befreundeten Paar in einer fast nur von Amerikanerinnen bewohnten Gegend in
Zehlendorf. Deren Sohn war ein Punkrockfan und nahm Berman mit, als eines
Tages die Hamburger Gruppe Slime auf dem Nollendorfplatz auftrat. Nach dem
Konzert waren viele Menschen so aufgekratzt, dass sie sich nicht mehr
sicher waren, ob sie schmusen oder sich prügeln wollten. Berman hatte noch
nie Menschen getroffen, die so viel vorhatten. Alles Mögliche wollten sie
verteidigen, erhalten, schützen oder bewahren – die Häuser, den Wald, die
Robben und den Frieden –, und von ihrer Energie ließ sich der Jugendliche
gern anstecken.
Doch heute waren längst keine Besetzer mehr da. Berman zitterte ein
bisschen, ähnlich wie die Hologramme in den Star-Wars-Filmen. Als er nicht
mehr zitterte, schaute er sich um und sah nach oben, als würde er das
Wetter prüfen.
Dann senkte er den Kopf und sah vor sich zwei Grundschülerinnen, die vom
Ballettunterricht auf dem Nachhauseweg waren. Berman sagte zu ihnen: „Mein
Name ist David Berman, und ich habe nicht die Nerven für Rock ’n’ Roll.
Früher hatte ich eine Band, aber deren sämtliche Mitglieder hängen entweder
nur noch in Literaturhäusern ab oder sind immer gerade auf Japan-Tournee,
wenn ich versuche, sie zu erreichen. Jetzt bin ich allein und fühle mich
mulmig, aber dafür geht es mir besser.“
Während er sprach, begann Berman, fröhliche, beschwingte Akkorde zu spielen
und mit fast nachlässiger Leichtigkeit zu singen, so wie er es auf den
Platten der von ihm erwähnten Band, den Silver Jews getan hatte:
„Vom Jugendzentrum gehe ich zum Marktplatz/ Am Brunnen treffe ich meinen
Schatz/ Sie malt den Morgen in einen Skizzenblock/ Ich singe dazu frisch
gewaschenen Poprock.“
Doch irgendetwas stimmte nicht, denn Berman brach ab, schaute sich unwirsch
um, bückte sich zu der neben ihm stehenden Tasse mit Lindenblütentee und
trank zornig ein paar Schlucke. Da fragte ihn die jüngere der beiden
Schülerinnen: „Kannst du Old Town Road spielen?“ Berman wollte mit den
Augen rollen, fand das aber nicht fair gegenüber seinen jungen
Zuhörerinnen. Deshalb sagte er ihnen freundlich, dass er Lil Nas X und
seinen Welthit mochte. Aber den Text kenne er nicht gut genug. Die Mädchen
hörten aufmerksam zu, dann zupfte die Ältere die Jüngere am Jackenärmel,
und sie gingen weiter. Aber jetzt war Berman in Stimmung und sang: „Wer
mich fassen will, ist ein Verbrecher/ Wer mich fasst, ist ein Mörder/ Du
wirst nicht schlauer draus, wenn du mich suchst/ Und es geht nicht gut aus,
wenn du es doch versuchst.“ Aus dem Schallloch der Gitarre friemelte er
einen Keks, tunkte ihn in den Lindenblütentee, begann zu zittern und löste
sich in der Schöneberger Luft auf. Da bin ich aufgewacht.
16 Aug 2019
## AUTOREN
Kristof Schreuf
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