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# taz.de -- Die arabische Geschichte von Notre-Dame de Paris
> Vor dem Wiederaufbau der abgebrannten Kathedrale des Erzbistums von Paris
> eine kleine Rückbesinnung auf die architektonische Geschichte
Bild: Max P. Haering, L’incendie de Notre-Dame, 2019, Acryl auf MDF-Platte, 9…
Von Fabian Goldmann
Die Flammen war noch nicht gelöscht, da begannen in sozialen Netzen schon
die Verdächtigungen: Hatten Araber mit „Allahu Akbar“-Tweets ihre Freude
über den Brand von Notre-Dame de Paris zum Ausdruck gebracht? Schossen
französische Muslime Grinse-Selfies vor der brennenden Kathedrale? Hatten
gar islamistische Terroristen das christliche Gotteshaus in Brand gesteckt?
Wenige Tage später drehte sich die Stimmung: Nun galt die hohe
Spendenbereitschaft für den Wiederaufbau vielen als Beleg für Dekadenz und
Bigotterie des christlichen Westens.
Der Kampf gegen das Feuer war zwar gewonnen, der Kulturkampf um Notre-Dame
de Paris dafür in vollem Gange. Dabei taugt das gotische Gotteshaus gerade
nicht dazu, vermeintliche kulturelle Fronten zu beschwören. Im Gegenteil,
der Bau des christlich-französischen Sakralbaus wäre ohne kulturellen
Austausch mit der arabisch-islamischen Welt nicht möglich gewesen.
Die Entstehungsgeschichte von Notre-Dame beginnt offiziell im Jahr 1163 und
überdauert rund 200 Jahre. So lange mussten die Pariser von der
Grundsteinlegung durch Bischof Maurice de Sully bis zur Fertigstellung
ihrer „lieben Frau“ warten. Wesentlich älter sind allerdings ihre ideellen
Wurzeln.
Sie reichen zurück bis ins Syrien des 5. Jahrhunderts. In einem Gebiet, das
Archäologen heute die „Toten Städte“ nennen, vollzog sich die Geburtsstun…
des christlichen Kathedralenbaus. Im Nordwesten des Landes bauten
frühbyzantinische Christen die ersten großen Basiliken.
Rund 30 Kilometer westlich von Aleppo entstand eine der prächtigsten, die
Klosterkirche Deir Turmanin. Von ihr ist heute nichts mehr übrig, doch auf
archäologischen Zeichnungen dürfte Notre-Dame-Besuchern eine Sache
auffallen: die [1][Fassade mit zwei Türmen]. 30 Kilometer weiter lässt sich
der Ursprung romanischen und gotischen Doppelfassadenbaus auch heute noch
besichtigen. Auf einem Hügel nördlich von Idlib stehen die Ruinen der
ebenfalls im 5. Jahrhundert gebauten Qalb Loze.
Dass sich der Stil nicht nur rasch in der Region, sondern auch in Europa
verbreitete, ist der günstigen Lage der Kirchen zu verdanken. Auf einer
nahe gelegenen alten römischen Handelsstraße zwischen Aleppo und Antiochia
(heute Antakia) verkehrten regelmäßig Pilger und Händler.
Die britische Journalistin Diana Darke, die mehrere Bücher über die
Kulturgeschichte Syriens geschrieben hat, vermutet, dass es Kreuzfahrer
waren, die die Idee der Doppelturmfassade mit nach Westeuropa brachten.
Andere Autoren verweisen darauf, dass sich ihr Einfluss schon im 6. und 7.
Jahrhundert in Europa nachweisen lässt. Sicher ist: Spätestens ab dem 11.
Jahrhundert prägten die Doppeltürme romanische Kirchen überall in
Westeuropa, wie zum Beispiel die Klosterkirche Saint-Étienne oder in
Deutschland die Basilika St. Kastor in Koblenz. Diese wiederum
beeinflussten die Erbauer gotischer Bauten wie der Notre-Dame.
Zwischen den beiden großen Türmen der Westfassade kann man einen weiteren
arabischen Einfluss in der Notre-Dame sehen: das Rosenfenster. Die
riesigen, mit Buntglas ausgeschmückten Fenster gehören zu den
beeindruckendsten Elementen der Kathedrale. Nicht ohne Grund
veröffentlichten viele Medien nach dem Brand eigens Artikel, nur um darauf
hinzuweisen, dass die Fenster nicht beschädigt wurden.
Glück im Unglück hatte auch ihr historischer Urahn. Im 8. Jahrhundert
ließen umayyadische Herrscher nahe der Stadt Jericho in Palästina eine
riesige Palastanlage errichten.
Neben Moscheen, großzügigen Bädern und aufwendigen Stuck- und
Mosaikarbeiten beherbergte der „Palast des Hischam“ auch ein rundes
Fenster, das offenbar einem Rad nachempfunden war. Der Großteil der Anlage
fiel einem Erdbeben zum Opfer, doch in den 1930ern entdeckten
palästinensische Archäologen ihre Überbleibsel. Dank ihnen können Touristen
heute das erste bekannte Radfenster der Welt bewundern.
Seine ideellen Nachkommen schmücken heute Kirchen in ganz Europa.
Romanische Radfenster gibt es zum Beispiel am Basler Münster oder an der
San Zeno Maggiore im italienischen Verona. Gotische Kirchenbauer
entwickelten sie zu jenen Fensterrosen weiter, wie man sie an der Nord- und
Westseite von Notre-Dame sehen kann.
Selbst das charakteristischste Merkmal gotischer Architektur lässt sich in
die arabische und persische Welt zurückverfolgen: der Spitzbogen.
Kulturhistoriker sind sich uneins, wo erstmals jemand auf die Idee kam,
einen runden Bogen spitz zulaufen zu lassen. Im sassanidischen Palast Taq-e
Kisra im Norden des heutigen Irak? In der byzantinische Kirche Qasr ibn
Wardan in Syrien? Im umayyadischen Wüstenschloss Qusair Amra im heutigen
Jordanien? Oder hat doch der amerikanische Islamwissenschaftler Tom Verde
recht, der in seinem Aufsatz „The Point of the Arch“ vermutet, eine
abbasidische Zisterne im heutigen Israel sei der Ursprung der Zuspitzung?
Sicher ist: Als der Spitzbogen im 11. Jahrhundert in Europa auftauchte,
hatte er schon eine lange Reise durch die arabische und persische Welt
hinter sich. Vor allem die Kairoer Ibn-Tulun-Moschee soll westliche
Bauherren beeinflusst haben.
Erbauen ließ die Moschee, die bis heute die größte des Landes ist, der
gleichnamige Abassiden-Stadthalter im 9. Jahrhundert. Sein Problem: Um das
riesige Dach zu stützen, hätte es Hunderte Säulen im Innenraum benötigt.
Die Lösung: Spitzbögen, die ein Vielfaches ihrer runden Vorgänger tragen
können.
Es war derselbe Grund, der die Bauherren von Notre-Dame und Hunderter
anderer Sakralbauten ab dem 11. Jahrhundert in Europa ihre Bögen spitz
zulaufen ließen.
Gepaart mit der neuen Erfindung des gotischen Strebewerks verhalfen die
Spitzbögen Notre-Dame zu einer bis dahin für unmöglich gehaltene
Gewölbehöhe von über 30 Metern.
Für die heutige Diskussion bedeutet das: Mit der teilweisen Zerstörung von
Notre-Dame hatten Araber nichts zu tun. Mit ihrem Bau, ihrer Bauform dafür
umso mehr.
5 Aug 2019
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## AUTOREN
Fabian Goldmann
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