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# taz.de -- „Wir sind auf der genetischen Einbahnstraße“
> Wer eine tierschonende und umweltfreundliche Landwirtschaft will, muss
> auch die Zucht verändern. Wie das klappen könnte, erklärt
> Agrarpolitik-Experte Christian Rehmer
Bild: Idyll mit Zweinutzungshuhn: Biohof Auguste
Interview Gesa Steeger
taz am wochenende: Herr Rehmer, was erzählt die Geflügelhaltung über die
deutsche Landwirtschaft?
Christian Rehmer: An der Tierzucht und an der Geflügelhaltung kann man gut
erkennen, in welche Sackgasse wir uns manövriert haben. Masthähnchen,
Schweine oder auch Milchkühe werden optimiert, für ein Ziel: mehr Ertrag.
Die ursprüngliche Vielfalt, die verschiedenen Rassen sind auf der Strecke
geblieben. Wir sind auf der genetischen Einbahnstraße, und das Ergebnis
sind beispielsweise höhere Anfälligkeiten für Krankheiten.
Sehen Sie einen Ausweg?
Wir müssen andere Kriterien ansetzen: weg vom Maximierungsdenken, hin zu
einem ganzheitlichen Ansatz für Nutzungsvielfalt.
Diesen Ansatz gibt es bei dem Projekt Zweinutzungshuhn, das sowohl Eier
legt als auch gemästet werden kann.
Das Problem ist, dass die Brüder der Legehennen zur Mast geeignet sein
müssen. Das funktioniert bisher noch nicht ausreichend. Im Vergleich zur
konventionellen Mast ist das absolut unwirtschaftlich. Daran kranken diese
alternativen Projekte, leider.
Ist es realistisch, 60 Jahre landwirtschaftliche Industrialisierung
umdrehen zu wollen?
Natürlich. Die Frage ist: Will man das? Es kostet Geld und wir brauchen
geeignete Tiere, die für Freiland- und Weidehaltung geeignet sind und mit
Keimen und UV-Strahlung zurechtkommen. Wenn Sie eine Hochleistungskuh auf
die Weide stellen, würde die gesundheitliche Probleme bekommen. Das Gleiche
würde mit Hochleistungshühnern und -schweinen passieren. Der Umbau der
deutschen Landwirtschaft kann also nur gelingen, wenn die Zuchtziele damit
einhergehen. Das ist ein Prozess, der gut 20 Jahre dauern kann.
Als Argument für eine industrialisierte Landwirtschaft wird immer die
Welternährung herangezogen. Müssen wir für den Rest der Welt produzieren?
Bereits jetzt könnte die globale Landwirtschaft zehn Milliarden Menschen
ernähren, wenn wir auf eine pflanzlich basierte Ernährung umstellen und
eine faire Weltwirtschaftsordnung installieren würden. Mit den Exporten aus
Deutschland und anderen Ländern wird regionale Landwirtschaft in anderen
Regionen gefährdet. Dabei geht nicht nur Kapital in diesen Ländern
verloren, sondern auch die Artenvielfalt. Weltweit haben wir vielleicht
noch drei Hühnerrassen, die kommerziell genutzt werden. Die meisten davon
kommen aus dem Konzern EW Group.
Was können landwirtschaftliche Betriebe machen, die aus diesem System
aussteigen möchten?
Jeder Betrieb kann versuchen, regionale Kooperationen aufzubauen. Weg vom
Weltmarkt, hin zum Wochenmarkt. Das ist umwelt- und ressourcenschonend.
Zusätzlich gibt es Programme, die Betriebe unterstützen, die alte Rassen
halten. Aber das ist marginal. Für die Umstellung eines Betriebs auf Bio
gibt es zwar staatliche Unterstützung. Die aber hilft kleinen Betrieben
nicht, weil das Geld an Fläche gebunden ist. Ein Problem.
Warum?
Jedes Jahr sterben in Deutschland rund zwei Prozent der Höfe. Zu viel vom
Kuchen bleibt ganz einfach bei Industrie und Handel hängen. Für junge
Landwirte, die etwas Neues machen wollen, ist das keine gute
Ausgangssituation. Auch die EU-Agrarsubventionen sind an Fläche gekoppelt,
nicht an Produktion. So wird der unterstützt, der viel Land hat, aber nicht
derjenige, der mit alternativem Anbau und tiergerechter Haltung für eine
bessere Umwelt und Klimaeffekte sorgt.
Das hört sich nicht nachhaltig an.
Ist es auch nicht. Der Ort, der momentan am meisten zu kämpfen hat, ist
nicht der Wald, sondern die Agrarlandschaft. Die Biodiversität geht zurück.
Das liegt vor allem an Pflanzenschutzmitteln und Strukturarmut. Wir haben
massive Überschreitung von Nitratwerten im Grundwasser. Deutschland ist in
Sachen Nachhaltigkeit zu langsam, auch im Vergleich zu Nachbarländern wie
Österreich oder der Schweiz.
Hat man als Konsument Einfluss auf die Form der Landwirtschaft, die in
Deutschland betrieben wird?
Jede Kaufentscheidung ist eine Entscheidung für oder gegen ein Produkt. Wer
findet, Rinder sollten Hörner haben, der sollte beispielsweise kein
EU-Bio-Rind kaufen, sondern Demeter. Damit der Kunde besser wählen kann,
müsste es aber eine bessere Ausdifferenzierung geben. Einen Anfang haben
bereits einige deutsche Discounter gemacht, die bereits
Haltungsbezeichnungen auf Produkten anbringen und das auch vereinheitlicht
haben. Das garantiert den Kunden eine bessere Transparenz.
Gibt es für diesen Vorstoß auch politische Unterstützung?
Der Bundesrat fordert bereits eine verpflichtende staatliche
Haltungserkennung, die es den Konsumenten erlaubt, genau nachvollziehen zu
können, unter welchen Bedingungen das Tier gehalten wurde. Nur die
Bundeslandwirtschaftsministerin redet noch immer von Freiwilligkeit.
Und das geht Ihnen nicht weit genug?
Der Kunde befreit die Politik nicht davon, politische Leitplanken zu
setzen. Es kann nicht sein, das gesellschaftliche und politische Ziele sich
nach den Entscheidungen des Konsumenten richten.
3 Aug 2019
## AUTOREN
Gesa Steeger
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