# taz.de -- Die reine Leere des Andreas Schmitten | |
> Mit ironischer Distanz zur Minimal Art greift der Bildhauer Andreas | |
> Schmitten auf deren Umgang mit Möbeln zurück: In Bremerhaven zeigt er in | |
> Handarbeit glanzvoll idealisierte Spülen, Hauben und Spiegel | |
Bild: Der Blick in die Ausstellung wirft die Betrachterin auf sich zurück. Den… | |
Von Radek Krolczyk | |
Es ist meistens so: Je abstrakter, je stiller und je leerer eine | |
künstlerische Arbeit ist, desto bedeutender erscheint sie. Was kann | |
aufgeladener sein als ein bloßer Kreis? Was göttlicher als das bloße Licht? | |
Es mag seltsam wirken, aber je größer die Leere, desto leerer das Pathos. | |
In der Geschichte der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts lässt sich das | |
an mehreren Momenten nachvollziehen. In den 1960er-Jahren etwa fielen | |
Bildhauer der Minimal Art wie Donald Judd, Carl Andre oder Dan Flavin auf, | |
indem sie Wandsockel, Bodenplatten und leere, aber beleuchtete Vitrinen | |
ausstellten. All dieses Nichts war zugleich Alles. Es geht dabei nicht | |
zuletzt um Vorstellungskraft. Nur eine leere Bühne hat Platz für alle | |
Dramen dieser Welt. | |
Der Düsseldorfer Bildhauer Andreas Schmitten, dessen Arbeiten zurzeit im | |
Bremerhavener Kunstverein zu sehen sind, steht durchaus in der Tradition | |
der US-amerikanischen Minimalisten. Im Ausstellungssaal befinden sich drei | |
Plexiglaskuben, die der Künstler schützend über zunächst alltäglich | |
wirkende Möbel gestülpt hatte: Es handelt sich um Spülbecken, Kühlschrank | |
und Bett. | |
Im Korridor davor steht zusätzlich noch ein kleiner Hocker, auch er, wie | |
eine Art Heiligtum geschützt, unter einer Glasglocke. Die Titel weisen über | |
die Möbel hinaus, sie denken ihre Betrachterinnen und Betrachter mit: | |
sitzend im Becken, liegend auf dem Schrank, kniend vor dem Bett, stehend | |
auf dem Hocker. | |
Möbel unter oder hinter Glas haben in der Ausstellungswelt eine Geschichte. | |
Gerade Betten (meist Totenbetten) finden sich in Schlössern, Kirchen, | |
Mausoleen geschützt hinter gläsernen Absperrungen. Oftmals sind diese | |
Liegen leer, oftmals aus Marmor, manchmal sind auch die Kissen aus Marmor | |
gefertigt. Die Möbel sind Zeugen (oder Symbole) großer Geschichte. Sind sie | |
leer, steigert das noch die Größe. Die Körper der Großen müssen dort | |
gelegen haben, erst noch mit Geist, dann ohne, nun ist alles fort. Wo aber | |
liegt das Pathos eines weniger universellen Möbelstückes, das zum Abwaschen | |
von Geschirr gemacht ist? | |
Andreas Schmitten, der 1980 in Mönchengladbach geboren wurde, hat durchaus | |
eine ironische Distanz zu Nachkriegs-Avantgarden wie der Minimal Art. Seine | |
Möbel sind bei genauerem Hinsehen auch keine Möbel, sondern Modelle von | |
Möbeln. | |
In ihrer Makellosigkeit, mit den abgerundeten Ecken, den sanften Farben und | |
den samtigen, leicht transparenten Oberflächen sind sie die Ideale von | |
Möbeln. Sie sind so sehr ideal, dass sie es selbst sind, die sich ihren | |
Betrachtern gegenüber sichtbar machen. | |
Denn das elektrische Licht, das die Plexiglaskuben und schließlich den | |
ganzen Raum erhellen, kommt aus ihrem Inneren. Bei Möbeln, die für einen so | |
profanen Gebrauch gemacht sind, wie eine Spüle? Das wirkt zunächst | |
spleenig, vielleicht auch etwas lustig. Denn diese Möbel, ihre Hauben und | |
ihr Licht füllen in Bremerhaven schließlich eine ganze Ausstellungshalle. | |
Sind sie der Rest vom Ausverkauf eines Möbellagers? | |
Schmittens künstlerische Karriere begann vor knapp zehn Jahren mit einem | |
Abschluss an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er bei Georg Herold | |
studierte. Seitdem stellte er in bedeutenden Häusern aus, dem Kunstmuseum | |
Bonn oder der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Vertreten | |
wird er von der Berliner Galerie König. | |
Während seines Studiums verbrachte er drei Jahre In Los Angeles, wo er sein | |
Faible für Filmkulissen und Präsentation von Waren entwickelte. Hier mag | |
einer der Schlüssel zum Verständnis der Möbelmodelle liegen. | |
„Mir fiel auf, wie formvollendet und mit Liebe zum Detail dort Bars, | |
Restaurants und Geschäfte inszeniert sind“, erzählte er im vergangenen Jahr | |
in einem Interview für das Kulturmagazin „AD“. Tatsächlich spielt in | |
Schmittens Werk gerade auch der Schein von Dekor, Requisiten und Modellen | |
eine große Rolle. Wobei er ihn nicht als falschen Schein oder als Lüge | |
abtut, sondern, im Gegenteil, sich in seinem Atelier äußerst detailverliebt | |
hingibt. | |
So künstlich und kühl seine Plastiken auch wirken, sie entstehen nicht im | |
Auftrag des Künstlers in einer Gießerei oder einem Kunsthandwerksbetrieb. | |
Er verarbeitet Textil, Kunststoff, Holz und Papier selbst und bringt sie | |
mit Geduld und handwerklichem Geschick in ihre perfekte Gestalt. | |
Um die perfekte Gestalt der Modelle zu schützen, gibt es die Glashauben. | |
Aber wie jede Idealgestalt wird auch diese von der Wirklichkeit widerlegt. | |
Denn natürlich findet man auf den Kunststoffoberflächen Staubpartikel, | |
natürlich haben auch die heiligenscheinhaften Glaskuben Schlieren. | |
Im Kabinett des Kunstvereins zeigt Schmitten zusätzlich einige Exemplare | |
einer neueren Werkgruppe. Es sind Zeichnungen, die unter dem Titel Chimera | |
Electrified firmieren. 2017 veröffentlichte er eine Sammlung solcher | |
Zeichnungen als Künstlerbuch. Es handelt sich um drastische, aber | |
emotionslose Anweisungen zur Zurichtung von Körpern. Schmitten selbst | |
äußerte gegenüber der Zeitschrift „Kunstforum“ lakonisch, er wollte den | |
Menschen in sein Werk holen. Und so ist zu sehen, wie eine Axt auf den Hals | |
einer Frau trifft, zwei Hände den Kopf abnehmen und stattdessen eine | |
Festplatte senkrecht aufgesetzt wird. Ein anderes Blatt zeigt eine | |
Stichsäge im Nacken eines Mannes. Anschließend wird ein Fön durch die | |
Öffnung geschoben, das durch den geöffneten Mund bläst. Die bloß technische | |
Art der Darstellungen überrascht sehr. Sein Vorbild sind Zeichnungen aus | |
japanischen Kochbüchern. Die Gegenstände, die er den menschlichen Figuren | |
einverleibt, sind selbst am menschlichen Körper orientiert, wie er betont. | |
Nun fusionieren sie gewaltsam. | |
Andreas Schmitten, „Stehend im Raum“: bis 25. 8., Kunstverein Bremerhaven | |
Der Autor ist Betreiber der Galerie K’in Bremen | |
3 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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