# taz.de -- pride in hamburg: „Aids änderte die sexuelle Praxis zutiefst“ | |
Interview Julika Kott | |
taz: Herr Dannecker, wie hat die Angst vor Aids die schwule Sexualität | |
geprägt? | |
Martin Dannecker: Sie hat sie in einen Unsicherheitszustand versetzt. Als | |
die Aids-Krise ihren Höhepunkt erreichte, von Mitte der 80er bis Mitte der | |
90er, begriff man, dass die Angst vor Aids durch präventive Maßnahmen wie | |
das Safer-Sex-Programm nicht einzudämmen ist. Aids änderte die sexuelle | |
Praxis zutiefst. Es entwickelte sich ebenfalls eine Leibfeindlichkeit, eine | |
Distanzierung von „den anderen“. Jeder wurde ganz unbewusst unter den | |
Verdacht gestellt, Träger dieses schrecklichen Virus zu sein. | |
Und wie veränderte sich dadurch der Diskurs über Homosexualität? | |
Das ist ziemlich dialektisch zugegangen: In den Zeiten einer massiven | |
Anti-Homosexualität entwickelte sich zeitgleich ein Gegendiskurs. Also: | |
Homosexualität wurde im Zusammenhang mit Aids immer wieder auch positiv | |
thematisiert und dieser Diskurs über Aids und HIV trieb, in einer paradoxen | |
Entwicklung, auch die Integration der Schwulen in die Gesellschaft voran. | |
Ist Aids politisch? | |
Zutiefst: Aids hieß ja ursprünglich „Gay Related Immune Deficiency“ und w… | |
damit im Moment des Auftretens ein Politikum per se, weil die Krankheit | |
einer Gruppe zugeschrieben wurde. Beim Nachdenken über Aids kann man | |
deshalb zwischen der Krankheit als solcher, und zwischen der | |
Metaphorisierung, der politischen Instrumentalisierung und den | |
Phantasmagorien, klar unterscheiden. Aids ist alles zugleich. | |
Funktioniert die HIV-Prävention, wie sie sollte? | |
Ich finde, dass die HIV-Prävention relativ gut funktioniert. Aber man | |
sollte sich nichts vormachen: Neue Infektionen kann man nicht ausschließen, | |
weil man mit der Sexualität im Endeffekt nicht so rational umgehen kann, | |
wie es sich viele wünschen. Ein sehr wichtiger Moment war die Einführung | |
der PrEP, einer medikamentösen Prävention gegen HIV-Übertragung. Damit | |
werden neue Infektionen abnehmen, da bin ich mir ziemlich sicher. | |
Was kritisieren Sie am Umgang mit Aids? | |
Zum einen die Vorstellung, sich in jeder Situation nach den Erfordernissen | |
der Prävention verhalten zu können. Diejenigen, die das nicht konnten, | |
wurden in einem sehr hohen Maße stigmatisiert. Zum anderen auch die | |
fehlende Reflexion über das Leiden der Betroffen, sowohl an der Krankheit | |
als auch an ihrer Stigmatisierung. | |
1 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Julika Kott | |
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