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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Morgane Llanque: Vermummte Sandkrieger s…
Berlin hat Saltkrokan-Qualitäten, denke ich, als ich es mir an diesem
Samstagmittag mit anderen CSD-Schwänzern im 218er bequem mache, der uns zum
Giegling-Festival bringt. Niemand denkt beim Klang des Namens der
Hauptstadt an ihre idyllischen Inseln, unzähligen Flüsse, Seen und Sümpfe.
Dabei haben wir hier einen nicht endenden Wassererlebnispark und nehmen ihn
meist undankbar als reine Selbstverständlichkeit wahr. Heute ist das aber
anders. Einige meiner Sitznachbarn schmeißen vernünftigerweise schon mal
ein paar Antioxydanzien ein, aber die meisten gucken staunend aus den
Fenstern auf das viele Grün und Blau und freuen sich wie Kinder.
Es geht durch die Südberliner Wälder, man fährt an Bushaltestationen
vorbei, die „Am Sandwerder“ „Wasserwerk Beelitzhof“ und „Havelchausse…
heißen, und steigt bei dem schmucken Inselchen „Lindwerder“ aus. In der
Ferne ragt der Grunewaldturm empor und die Sonne lacht ein bisschen
launisch auf die ungleiche Menge hinunter: Während auf dem Wannsee
Segelschiffe im Sommerwind kreisen, bewegen sich die Tanzlustigen jubelnd
auf eine Fähre zu, die sie auf das kleine Festival-Eiland befördern soll.
9 Stunden Eintagesrave, das bedeutet erst mal eine Stunde anfahren und eine
Stunde in der Schlange für das Boot stehen (Könnt ihr uns noch schnell mit
dem Sekt helfen, da ist kein Glas erlaubt.) Auf der Insel angekommen, sind
es noch mal 15 Minuten Schlangestehen für den Tausch von Euros in die
Festivalwährung, die aus Wassermelonenstickern besteht, und dann noch mal
10 Minuten vor den Dixiklos.
Vor dem Falafelstand ist zum Glück noch niemand, aber nach dem ganzen
Stehen ist man trotzdem viel zu erschöpft fürs Tanzen und hüpft erst mal
ins Wasser und winkt den Seglern zu. Wie faule Reptilien trocknen wir
danach in der Sonne und zucken nur ein bisschen im Liegen zum Bass.
Auf der Tanzfläche hält man es nicht so lange aus, denn der Boden der Insel
besteht aus luftiger Erde und die heftigen Windböen massieren den Dreck in
die Schleimhäute. Bald wickeln sich die Ersten Tücher und T-Shirts ums
Gesicht, um beim Spaßhaben nicht zu ersticken. Vermummte Sandkrieger shaken
neben Batikfeen.
Die eitlen Unverhüllten husten in Taschentücher und beobachten entsetzt,
wie der Stoff schwarz wird. Eine Tanzende wirft den Rotzlappen direkt auf
die Erde. „Was machst du?“, schreien ihre Freunde im Chor und heben das
Tuch wieder auf. Ist doch abbaubar? Nicht? Oh.
Irgendwie ist hier auch nichts so viel anders als auf dem CSD. Fürs Tanzen
bleibt wenig Zeit. Von Subkultur ist wenig zu spüren, und die Party wirkt
kommerzialisiert. Der politische Anspruch fehlt ganz. Und trotzdem macht es
so viel Spaß.
Wieso eigentlich?
Weil wir auf dem Wasser sind. Das Wasser um einem herum glitzert
ästhetisch, das Wasser aus dem Hahn im Zentrum der Insel spült einem die
braune Kruste von der Haut, das Wasser des Sees erfrischt, wenn man beim
Tanzen müde geworden ist, und natürlich kühlt es auch die
reingeschmuggelten Sektflaschen hervorragend. Immer wenn einem irgendwas
die Laune zu verhageln droht, stürzt man sich einfach ins Nass. Wir sind
wassertoll, wie es Tjorven auf Saltkrokan in Astrid Lindgrens
Kinderbuchklassiker ausdrückt.
Ich breite mich nach Modder stinkend auf einem Teppichmosaik aus, das von
den Veranstaltern ans Ufer gelegt wurde, genieße mein persönliches
Schärenland und denke mitfühlend an die nicht weit entfernten, armen
Sumpfgenossen auf dem CSD, die mit dem brennend heißen Asphalt der
Innenstadt zurechtkommen müssen.
30 Jul 2019
## AUTOREN
Morgane Llanque
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