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# taz.de -- Der Staat neigt stets zu nur scheinbar fortschrittlicher Politik
> Johannes Agnolis „Staat und Kapital“ wird neu aufgelegt. Darin findet
> sich ein Schlüsseltext materialistischer Staatstheorie
Von Christopher Wimmer
Worin mag der Zweck eines Bandes liegen, der bereits 1975 erschienen ist
und schon damals vom Autor selbst als nur „vorläufiges Arbeitsergebnis“
bezeichnet wurde? Wieso sollte man sich dem deutsch-italienischen
Politikwissenschaftler Johannes Agnoli, denn um ihn geht es hier, wieder
nähern?
Der Schmetterling Verlag hat aktuell unter dem Titel „Staat und Kapital“
die zentralen Texte Johannes Agnolis, die erstmals 1975 erschienen sind,
neu aufgelegt. Die Re-Lektüre der Aufsätze „Revolutionäre Strategie und
Parlamentarismus“ sowie „Klasse und Staat in Deutschland“ beantwortet die
Fragen noch nicht hinreichend. Sie entstanden vor dem Hintergrund der
Arbeitskämpfe in der Fiat-Fabrik in Turin und der spezifischen Situation
der 1970er Jahre in Italien. Die Texte sind als eine historische Kritik im
Handgemenge zu verstehen. Auch wenn dort in hochspannender Weise politische
Strategien diskutiert werden und Agnoli weitblickend das Scheitern des
„historischen Kompromisses“ in Italien, also die Zusammenarbeit zwischen
Kommunisten und Christdemokraten, voraussagt, bleiben die Texte in erster
Linie interessant für Historiker*innen.
Anders verhält es sich bei dem Aufsatz „Der Staat des Kapitals“, der
basierend auf einer Vorlesung an der Universität Turin als Schlüsseltext
materialistischer Staatstheorie gilt. Darin legt Agnoli schlüssig das
Verhältnis zwischen Staat und Kapitalismus dar. Zum einen versuche der
Staat stets, die Stabilität des Kapitalismus zu gewährleisten. Dafür sei es
für ihn aber auch notwendig, kurzfristig gegen die Interessen von
Einzelkapitalen zu handeln und scheinbar fortschrittliche Politik zu
betreiben. Dies geschehe beispielsweise über gesetzliche Regelungen von
Urlaubstagen, Krankheitsfällen oder die Festlegung von Mindestlöhnen.
Solche „Mittel zum Zweck“ müsse die politische Linke aber stets als solche
benennen und – trotz ihrer realen Vorteile – kritisieren. Agnoli benennt
die Gefahr, wenn dies nicht passiert: Linke Regierungen, die das
kapitalistische Wirtschaftssystem unangetastet lassen, müssen notwendig
scheitern. Der Staat bleibt immer Staat des Kapitals.
Um diesen Gedanken präsent zu halten, lohnt Agnoli. Nicht nur die Grünen,
sondern auch Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien (von der
Elendsgeschichte der SPD bitte ganz zu schweigen!) sind als kapitalistische
Partei geendet. Eine Linke, der es kapitalismuskritisch ums Ganze geht,
sollte als ersten Schritt bei Agnoli nachlesen. Die Möglichkeit besteht nun
wieder.
20 Jul 2019
## AUTOREN
Christopher Wimmer
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