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> Die nachhaltige Mode ist in eine neue Phase getreten. Ihre Messe Neonyt
> ist ein Gesamtkunstwerk mit eigener Handschrift
Bild: Da verschwindet ein Modell mit Hut , schon ist die Messe Neonyt vorbei
Von Marina Razumovskaya
Mit der modernen Kunst war das mal so: Du stehst davor und kapierst nichts.
Es muss erst einer kommen und dir stundenlang erklären, was du da siehst.
Vielleicht fing es mit der nachhaltigen Mode auch mal so an. Man redete und
redete über Fasern und Techniken, Manufakturen und Mindestlöhne. Bei einem
Luxusbrand dagegen spricht man über was anderes. Oder: Man spricht gar
nicht. Man will das sofort anfassen und anziehen.
Als ich vorgestern am Stand des südafrikanischen Nachhaltigkeitslabels
Rhumaa stand, unter diesen zart- und wasserblauen Anzügen ohne Kragen mit
ihren weißen, nur angedeuteten Prints, die Konturen sich verbindender
Menschen zeigen, da überkam es mich – ich wollte es und wusste: Die
nachhaltige Mode ist in eine neue Phase getreten.
Auch wenn sich auf der Fashion Week in diesem Sommer viele sehr spannende
Newcomer präsentierten – das Highlight war die Show der Neonyt: des Global
Hub für Mode, Nachhaltigkeit, Innovation. Die Show fand zwar schon früh
morgens um zehn statt, aber der Raum war voll, vor allem mit jüngeren
Menschen (kein Problem, es ist ja nicht Freitag). 350 Brands tummeln sich
unter dem Hub, 90 wurden ausgewählt, und ein Editorial-Team zauberte daraus
eine Show. Fashion-Direktorin Claudia Hoffmann (auch eine der Gründerinnen
des Fashion Council Germany) und ihr zur Seite der Stylist Julius Forgo
hatten nicht nur die Idee zur Show, sondern alles lag in ihrer Regie, bis
hin zum Casting der Models.
Individualisten wählten sie aus, grundverschiedene Typen, von zauberhaften,
schwarzen Schönheiten bis zu den hauchzarten Blassen und Männern wie
Schwermetaller. Alle Brands werden vom Editorial-Team „kuratiert“, wie sie
sagen. Denn hier zeigt nicht nur ein Einziger seine Sachen, sondern ein
Gesamtkunstwerk soll entstehen, mit eigener Handschrift, Musik, Accessoires
und Rhythmus.
Hauptthema eins: Wasser. Als Thema strömt es durch die ganze Neonyt. Denn
Wasser ist ein zentrales Thema nachhaltiger Mode. Ein normales T-Shirt aus
Baumwolle verbraucht 2.000 Liter Wasser, bis es existiert. (Ein Kilo
Rindfleisch 14.000 Liter.) Hauptthema zwei: Denim, der Jeansstoff, der sich
so herrlich kombinieren lässt mit eleganten Einsätzen aus anderen
Materialien, Wolle, Cord oder Seide. Diese Form der Nachhaltigkeit erinnert
mich an das Moskau meiner Jugend. In den 1980ern sah man oft Leute, die
sich Röcke aus alten Jeans gemacht hatten und durch genialen Besatz und
Einsatz anderer Materialien ganz neue Dinge schufen. Das sah schon damals
nicht schlecht aus, aber im Neu-Neu von Neonyt ist jede Andeutung von
Bastelei dabei in Eleganz verschwunden.
Als Grundidee ist eine solche synergetische Show wie die von Neonyt
ungewöhnlich und fast wie das wirkliche Leben: Man trägt alle möglichen
Marken zusammen. Aber was für die Show kombiniert wurde, passte haargenau
auf jedes Model, und trotzdem waren die Outfits für wirkliche Leute mit
normalen Figuren. Solche wirklichen Leute sieht man dann auch am Tag danach
an den Ständen der Brands auf der Messe im Kraftwerk an der Köpenicker
Straße. Maria Seifert etwa, deren Unternehmen seit fünf Jahren besteht und
deren Nische von Streetwear bis zu schlichten, eleganten Kleidern reicht,
gemacht aus Tencel von Lenzing oder upcycling gebrauchter indischer Saris,
Kleider, die auch Hochzeitskleider werden können, mit feinen Einsätzen aus
Plauener Spitze. Seifert kommt aus Leipzig und lässt seit zwei Jahren im
Erzgebirge produzieren in kleinen Betrieben, teils noch aus Ostzeiten, die
höchste Qualität herstellen.
Oder Yuna Miray, das Label mit den Kirschprachtkäfern,
golden-silbern-grünlich schimmernd, in ganzer Pracht auf Röcken oder
T-Shirts, als Muster auf Hosen. Das Label mit einer Zielgruppe auch ab 40
bis Mitte 60 legt sich für Insekten ins Zeug. Yuna Miray war auf dem Tag
der Insekten im Berliner Naturkundemuseum und pro verkauftem Teil geht ein
Euro an Insect Respect. Und was sieht man direkt neben dem Stand?
Insektenfood mit Heuschrecken und Raupen, für manche die Proteinquelle der
Zukunft.
Dann ab in die Welt von prepeek, dem Event für Influencer und Blogger,
einer Party, auf der man alle Teile nicht nur anschauen, sondern anfassen
und anprobieren kann, samt anschließendem Fotoshooting, alles in
selbstverständlicher Atmosphäre mit unbekannten Menschen. Viele Brands
haben da ein paar Sachen hängen, auch Accessoires, und man kann sich seine
Kombinationen zusammenstellen. Die Stoffe sind durchweg leicht und angenehm
auf der Haut: Sachen, in denen man leben kann. Das ist Luxus! Nicht der
kurze Auftritt, angekleidete Puppe, hochgetunte Sexualität, sondern Kleider
wie deine Augenfarbe, Hautfarbe, Haut.
5 Jul 2019
## AUTOREN
Marina Razumovskaya
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