# taz.de -- „Alles ist auf Überwachung ausgerichtet“ | |
> Der Kriminal- und Sozialpolitikexperte Bernd Maelicke kritisiert das | |
> Konzept für den Neubau der Jugendvollzugsanstalt. In der bisherigen Form | |
> sei es eine Fehlplanung | |
Bild: Resozialisierung braucht Horizont. Laut den Planungen für den Jugendknas… | |
Interview André Zuschlag | |
taz: Herr Maelicke, seit einem halben Jahr ist das Hamburgische | |
Landesresozialisierungs- und Opferhilfegesetz in Kraft. Es soll für eine | |
bessere Resozialisierung von Straffälligen sorgen, Haftzeiten verkürzen, | |
Hilfen für Opfer verbessern. Kann man schon ein Fazit ziehen? | |
Bernd Maelicke: Solche Ziele sind immer mittel- bis langfristig | |
ausgerichtet. Zunächst muss man sagen, dass sie grundsätzlich zu begrüßen | |
sind. Ob sie mit diesem Gesetz auch erreicht werden können, kann aber bei | |
vielen relevanten Wirkfaktoren noch nicht bewertet werden. Um zu messen, ob | |
entlassene Häftlinge wieder rückfällig werden, müssen sie erst mal | |
mindestens sechs Monate entlassen worden sein. Dafür sind die Zeiträume | |
noch zu kurz. | |
Die Senatsantwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion zeigt, dass die | |
sozialen Integrationshilfen, die die Resozialisierung ermöglichen sollen, | |
noch immer unterentwickelt sind. | |
Vergleichszahlen, etwa mit Schleswig-Holstein, zeigen dies überdeutlich. | |
Woran liegt das? | |
Die Gerichtshilfe und die Bewährungshilfe, die Straffälligen bei der | |
Wiedereingliederung in die Gesellschaft helfen sollen, müssen personell | |
viel besser ausgestattet werden. Anderswo gibt es dafür deutlich mehr | |
Personal. Zum anderen ist das aber auch ein Organisationsproblem. Hamburg | |
ist das einzige Bundesland, in dem die Gerichts- und Bewährungshilfe nicht | |
bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten, sondern bei der Sozialbehörde | |
angegliedert sind. Von Staatsanwälten und Richtern bekommen sie aber ihre | |
Aufträge, ihnen müssen sie berichten. Die Zusammenarbeit ist in Hamburg | |
institutionell und räumlich unnötig erschwert. | |
Also steht die Hamburger Bürokratie einer erfolgreichen Resozialisierung im | |
Weg? | |
Man sieht das auch an der geringen Einbeziehung von freien Trägern, etwa | |
der Diakonie, dem Paritätischen oder der Arbeiterwohlfahrt. In Hamburg ist | |
die ambulante und stationäre Resozialisierung fast ausschließlich in der | |
Hand des Staates. Was wir aber brauchen, sind Brücken zur | |
Zivilgesellschaft. Das übernehmen anderswo erfolgreich freie Träger. Dabei | |
sind die Voraussetzungen in Hamburg eigentlich optimal. | |
Inwiefern? | |
Im Stadtstaat sind die Wege für alle Beteiligten kurz, es gibt ein | |
vergleichsweise aufgeklärtes Bürgertum und Hamburg ist eine reiche Stadt, | |
in der die Mittel für moderne und modellhafte Resozialisierung durchaus | |
vorhanden sind. Und ein grüner Justizsenator sollte verstärkt ökologische, | |
ressourcen-kritische und sozial-integrative Lösungen vertreten. | |
Die Opposition sagt, dass der Hamburger Justizvollzug kurz vor dem Kollaps | |
stehe. | |
Es fehlt an einem Gesamtkonzept zur wirkungsorientierten Steuerung der | |
ambulanten und stationären Resozialisierung. Zwar gibt es im Gesetz gute | |
Ansätze, ein Gesetz allein verändert die defizitäre Praxis aber überhaupt | |
nicht. | |
Konkret beklagen Sie dies auch bei der Planung für die neue | |
Jugendvollzugsanstalt in Billwerder. Sie und sechs weitere Experten haben | |
sich in einer Stellungnahme an die zuständige Staatsrätin gewandt. Was | |
läuft denn falsch? | |
Es gibt in Deutschland etwa 25 Jugendanstalten, aber keine einzige ist | |
baulich so verdichtet, wie es die Pläne für Billwerder vorsehen. Überall | |
befinden sich in unmittelbarer Nähe und im Blickfeld der jugendlichen | |
Gefangenen Hausfassaden, Mauern und kleine Innenhöfe, es gibt viel zu wenig | |
Grünflächen – alles ist auf Überwachung ausgerichtet. Es gibt eine | |
frappierende Ähnlichkeit im Grundriss und Bauplan mit der JVA | |
Augsburg-Gablingen, einer neu gebauten Anstalt für die U-Haft von Männern | |
in Bayern. | |
Die U-Haft hat aber eine andere Praxis und andere Mittel als der | |
Jugendstrafvollzug. | |
In der U-Haft geht es baulich vorrangig um Überwachung und Kontrolle, was | |
angesichts der dominierenden Fluchtgefahr auch verständlich ist. Aber für | |
eine Jugendanstalt, in der die Jugendlichen im Durchschnitt nahezu zwei | |
Jahre verbringen, wäre dieses Konzept, wenn sich nichts mehr ändert, eine | |
echte Fehlplanung. | |
Man könnte einwenden, dass es nicht so sehr auf die Bauweise, sondern vor | |
allem auf die Betreuungsangebote ankommt. | |
Bauten bestimmen ganz entscheidend das Klima für Erziehung und für | |
Resozialisierung! 24 Stunden am Tag nur auf Mauern und Fassaden zu schauen, | |
ist etwas anderes als zumindest gelegentlich Horizonte und Natur | |
wahrzunehmen und zu erleben. | |
Gibt es andere Vorschläge? Es gibt einen guten Vorschlag, eine bisher nicht | |
überplante freie Fläche für Gemüseanbau, für Tierhaltung, für die | |
Herstellung von landwirtschaftlichen Produkten und für Sport, Freizeit und | |
familienfreundliche Besuchsregelungen zu nutzen – dies würde den Charakter | |
der bisherigen Planung grundlegend verändern. | |
2 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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