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# taz.de -- Bürgermeisterwahl in İstanbul: „In Istanbul wurden Kartelle geb…
> Vor der Wiederholung der Bürgermeisterwahl wird über Vetternwirtschaft
> diskutiert. taz gazete hat CHP-Kommunalpolitiker Tarık Balyalı gefragt,
> was hinter den Vorwürfen steckt.
Bild: „Istanbul ist für die AKP sowohl politisch als auch finanziell wichtig…
Bei den Kommunalwahlen am 31. März wurde der CHP-Kandidat Ekrem İmamoğlu
zum Oberbürgermeister der Metropolregion Istanbul gewählt. Daraufhin ließ
die AKP die Istanbul-Wahl annullieren. Jetzt wählt Istanbul am 23. Juni
erneut. In den nur 18 Tagen Amtstagen von İmamoğlu waren zahlreiche
Unregelmäßigkeiten aus der vorangegangenen Legislaturperiode unter der AKP
bekannt geworden, über die nun kurz vor der Neuwahl diskutiert wird. taz
gazete hat mit Tarık Balyalı, Vorstandsmitglied und Sprecher der
CHP-Fraktion im Istanbuler Stadtparlament, über die finanzielle und ideelle
Bedeutung Istanbuls für die AKP, die Regelwidrigkeiten und die
Verschwendung öffentlicher Mittel gesprochen.
taz gazete: Selbst AKP-nahe Kreise sind darüber überrascht, wie hartnäckig
die AKP darauf beharrt, eine verlorene Wahl im Nachhinein doch noch zu
gewinnen. Was macht Istanbul für die AKP so wichtig?
Tarık Balyalı: Istanbul ist für die AKP sowohl politisch als auch
finanziell wichtig. Die Istanbul-Wahlen von 1994 standen für den
AKP-Vorsitzenden und Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan am Anfang seiner
politischen Karriere. Wir haben oft erlebt, dass die Macht eines
politischen Lagers seinen Anfang in der Kommunalpolitik genommen hat und
dort auch beendet wurde. Deshalb hat die AKP die Wahlen vom 31. März
annulliert, weil sie das Ende ihrer Macht fürchtete.
Was ist mit den finanziellen Gründen?
In Istanbul wurden einige städtische Unternehmen ihrem Gründungszweck
entfremdet und dazu missbraucht, bestimmten Leuten Arbeit und
Ausschreibungen zuzuschanzen. Es geht auch um Rendite im Bausektor.
Eigentümer*innen von Hochhäusern und Wohnblöcken, die in den letzten 15
Jahren gebaut wurden, sind Unternehmer der AKP oder zumindest ihr zumindest
nahe. AKP-Angehörige finden sich auch überall dort, wo in den letzten 15
Jahren Gemeinschaftsgründen wie Grün-, Park- und Schulflächen veräußert
oder zur Bebauung freigegeben wurden. Werten wir die Ausschreibungen der
Kommune aus, sehen wir, dass alle Großprojekte an AKP-nahe Unternehmen
gegangen sind. Es wurden Kartelle gebildet. Auf einige jährliche
Ausschreibungen haben sich als einzige immer dieselben Firmen beworben und
auch problemlos den Zuschlag erhalten. Städtische Unternehmen, die unter
die Kontrolle von AKP-Kadern gekommen sind, haben aufgehört, dem sozialen
Nutzen zu dienen, vielmehr wurden sie zu Renditezentren. Dieses System
förderte Verschwendung von öffentlichen Mitteln.
Die Metropolregion Istanbul schreibt seit Jahren rote Zahlen. Liegt das
auch an der erwähnten Verschwendung?
Laut dem Bericht des Rechnungshofes für 2017 liegt der finanziell
bezifferbare Schaden in Istanbul für dieses Jahr bei knapp 113 Millionen
Euro (753 Millionen Lira). Das Hauptproblem in Istanbul ist, dass die
Regierung sich zu stark in die Kommunalverwaltung einmischt. Die
Bürgermeister haben die Regierung mit Kommunalressourcen finanziert.
Verdiente Kommunalpolitiker wurden durch parteiloyale ersetzt,
Parteimitglieder aus niedrigen Positionen wurden in leitenden Funktionen
eingesetzt. Dabei kam es nicht auf Kompetenzen an, sondern darauf, ob man
auf der richtigen Seite stand.
Haben Sie Beispiele dafür wie öffentliche Gelder unproduktiv eingesetzt
wurden?
Da sind zum Beispiel die 2008 aus den Niederlanden gekauften Metrobusse. Es
war bekannt, dass sie nicht für die physikalischen Gegebenheiten in
Istanbul geeignet sind, trotzdem wurden sie angeschafft. Es gab ständig
Pannen und Probleme. 50 Busse zum Stückpreis von 1,2 Millionen Euro hatten
insgesamt 60 Millionen Euro gekostet. Nur 15 von den 50 Bussen sind heute
noch im Betrieb. Für solche unrealistischen und unwirtschaftlichen
Projektideen wurden von einer einzigen Behörde laut CHP-Kandidat İmamoğlu
34 Millionen Euro ausgegeben.Ich will nicht wissen, was für eine Summe auf
diese Weise ausgegeben wurde, wenn man das einmal auf alle Behörden
hochrechnet.
Wenn AKP-Politiker*innen Wahlkampf machen, dann reden von ihren
Dienstleistungen. Haben sie der Bevölkerung gedient?
Nachdem Erdoğan den ehemaligen Bürgermeister Kadir Topbaş zum Rücktritt
genötigt hatte, war die Stadt quasi anderthalb Jahre ohne Leitung. Diese
Zeit wurde dazu genutzt, gewissen Personen einen Vorteil zu verschaffen,
statt der Stadt zu dienen. Seit jeher gibt es massive Probleme in Istanbul.
Inzwischen kann man dort kaum noch leben. Und tatsächlich kommt es bereits
zu Abwanderung.
Im Bericht des World Cities Culture Forum, das Statistiken über urbane
Räume auf der ganzen Welt erstellt, steht Istanbul mit nur 2,2 Prozent
Grünflächen auf dem letzten Platz von 34 Städten.
Der Haushalt der Behörde für Straßeninstandhaltung beträgt knapp 229
Millionen (1,5 Milliarden Lira) für 2019. Das Park- und Gartenamt,
zuständig für landschaftsbauliche Maßnahmen, verfügt über ein nicht sehr
viel kleineres Budget von knapp 119 Millionen Euro (1,2 Milliarden Lira).
Diese Summe dient aber nicht der Vergrößerung der Grünflächen in der Stadt,
sondern ihrer Verzierung. Ein erheblicher Teil der Mittel wurde für Blumen
in Töpfen und Mauergärten an Autobahnrändern ausgegeben.
Wie geht es den städtischen Angestellten in Istanbul?
Ich weiß, dass die meisten, die nicht AKP-Mitglied sind, äußerst
unzufrieden sind. Ihnen stehen politische Kader gegenüber, die Gehalt
beziehen, ohne dafür zu arbeiten. Es wird nicht der gleiche Lohn für
gleiche Arbeit bezahlt. Von oben wird Druck ausgeübt. Die Leute werden für
Kundgebungen und Aktivitäten zwangsrekrutiert. Im Augenblick sind viele
Angestellte zum Straßenwahlkampf für den 23. Juni für die AKP verdonnert.
Ein Teil der Angestellten hat die Meldungen über Verschwendung und
Korruption der Istanbuler Stadtverwaltung als Schmutzkampagne verstanden
und am 12. Juni vor dem Rathaus protestiert. Weshalb?
Dem Personal wird vermittelt: „Wenn İmamoğlu Bürgermeister wird, werdet ihr
alle entlassen.“ Das ist Unsinn. Ein Bürgermeister Ekrem İmamoğlu wird nach
dem 23. Juni niemanden entlassen, der arbeitet, um Brot nach Hause zu
bringen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
15 Jun 2019
## AUTOREN
Erk Acarer
## TAGS
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Politik
Bürgermeisterwahl
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