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# taz.de -- Eine aus der Schlange
> In ihrem Roman „RUTH. Moabit“ erzählt Anna Opel unaufgeregt und
> einfühlsam von der Ankunft der Geflüchteten Rahua in Berlin
Von Zora Schiffer
Im Alten Testament fliehen Ruth und Noomie aus dem Lande Moab nach Israel
und finden dort eine sichere Zukunft. Die Berliner Autorin Anna Opel nutzt
den biblischen Stoff als Leitmotiv für eine weltliche, zeitgenössische
Geschichte aus dem Berliner Stadtteil Moabit. Es geht in ihrem Roman um
Erinnerung an eine verlassene Heimat und Familie in Eritrea; um die
Probleme einer scheinbar glücklichen, deutschen Familie und um den
fragmentarischen Zustand eines Viertels.
Job, Wohnung, Mann, eine fast erwachsene Tochter. Noemie geht es gut. Sie
ist eine eher unscheinbare Person, die ihre Umwelt, teils träumerisch,
teils aufmerksam, beobachtet. Auf ihren Spaziergängen durch den Stadtteil
streift ihr Blick umher, bleibt an Einzelheiten hängen: Lehrter Straße,
Gefängnis, Rollkoffer, Polizei, Handyläden, Sportplatz, die Obdachlosen mit
der Isomatte. Immer wieder beobachtet sie aus dem sicheren Hort ihrer
Wohnung heraus die Schlange vor dem „Ankerzentrum“, der Aufnahmestelle für
Asylbewerber, und ihre Gedanken beginnen zu kreisen.
Doch als bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert wird, fällt es ihr schwerer,
sich darauf zu konzentrieren. Die erzwungene Indifferenz lähmt sie
zunehmend. Noch bevor sie ihre Mutter im Krankenhaus besucht, lernt sie
Rahua kennen, eine aus der Schlange. Über einen Bekannten und eine gute
Portion Glück gerät die junge, stoisch wirkende Frau über Noemie an einen
sicheren Schlafplatz: Sie erhält das Zimmer der ausgezogenen Tochter Jule,
wo sie nach langen Streifzügen durch die abweisenden Straßen Berlins
einkehrt, aber nicht wirklich ankommt. Noemies Ehemann Tom ist befremdet
von Rahua, während Noemie, abgelenkt von der Krankheit der Mutter, Rahua
passiv begegnet.
Die Geschichte tröpfelt vor sich hin, wechselt zwischen den verschiedenen
Ich-Perspektiven, gewinnt an Intensität, Tempo und Vielschichtigkeit, als
sich Rahuas Fluchtgeschichte mit Toms Seitensprung und den diversen
Mutter-Tochter-Vergangenheiten verflechtet. Immer mal wieder bahnen sich
mythische Motive und religiöse Ausdrücke ihren Weg in die sonst sehr
schmucklose, zeitgenössische Erzählung.
Die biblischen Elemente machen allzu deutlich, worum es der Autorin in
dieser Geschichte geht: um das Finden des eigenen Weges, um Schicksal und
um Gottvertrauen. Diese Ideen erscheinen im Verlauf der Einzelschicksale
hier als Hoffnungsträger, dort als zynische, taktlose Fantasie, meist als
marterndes Rätsel.
Was ist das für eine Stadt, die so viele aufnimmt und gleichzeitig
abprallen lässt? Wer ist dieser Mensch, der vertieft in seine Sorgen, oder
ganz offen verzweifelt, vielleicht stolz sich einer Begegnung entziehend,
auf dem Hauptbahnhofvorplatz steht, an der Bushaltestelle sitzt, unter der
Brücke kauert? Gehören all diese Geschichten irgendwie zusammen? Auch für
Nicht-Bibel-LeserInnen sind das interessante und sinnvolle Fragen, die
Reflexionen über das eigene Erleben und Wirken in dieser so offenen und
dennoch harten Stadt anregen.
„RUTH. Moabit“ ist Anna Opels Debütroman. Bisher arbeitete sie als
Übersetzerin und im Theater, unter anderem zum Thema des Körpers im Bezug
zur Sprache. Diese Sensibilität ist in „RUTH. Moabit“ spürbar. Ihre Sprac…
ist stark, wo ganz profane Beobachtungen und Detailbeschreibungen
stattfinden. Doch oft hört Opel genau da zu schnell auf und geht „weiter im
Text“, als wäre es die Aufgabe, eine fertig gedachte Geschichte
niederzuschreiben, wenngleich gerade der Plot eher unaufregend ist. Deshalb
ist dieses erste Buch kein literarischer Durchbruch, aber eine
unprätentiöse, einfühlsame Geschichte.
Anna Opel, „RUTH. Moabit“, Berlin 2019, edition.fototapeta, 224 Seiten,
17,50 Euro
24 Jun 2019
## AUTOREN
Zora Schiffer
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