# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Zora Schiffer: Wir sind die Jugend ohne … | |
Ich wache auf und lasse die Rollos hoch. Schwül ist es und hell bewölkt. | |
Bilder schießen mir durch den Kopf, wie wir da sitzen und die Füße baumeln | |
lassen auf der Mauer beim Halleschen Tor, Vögelzwitschern im Morgengrauen. | |
Zurück bleibt dieser Teil der Nacht, der still beginnende Tag, die frische | |
Luft. Schon fast vergessen der winzige Club, der lahme Techno, die | |
gleichgültigen Typen in Funktionskleidung und teuren Sneakern. Vorsichtig | |
öffne ich die Schlafzimmertür, denn die Katzen warten schon davor. Sie | |
dürfen hier nicht rein, hat mein Kumpel gesagt. | |
## Den Katzen ausweichen | |
Ich nehme ein großes Bierglas mit kaltem Kaffee aus dem Kühlschrank, unsere | |
Version von Cold Brew. Als ich mich vorsichtig durch einen schmalen Spalt | |
auf den Balkon drücke, weil ich Angst habe, die Katzen könnten entfliehen, | |
komme ich mir etwas gemein vor. Alles, was sie von mir mitbekommen, sind | |
Gesten des Ausweichens, Heimlichtuens, Zumachens. | |
Die Stimmung in diesem Neubauhof spiegelt ziemlich genau das wieder, was | |
gerade in meinem Kopf vor sich geht: Drückender, hellgrauer Dunst, zaghafte | |
Geräusche aus undefinierten Richtungen. Das liegt vielleicht an der | |
heftigen Mischung aus Philosophie, Kunst und Wodka. | |
Giorgio Agamben ist zu Besuch in Berlin. Das italienische Kulturinstitut | |
widmet ihm eine Reihe von Vorträgen und eine Ausstellung. Am Freitag Morgen | |
in der FU sprach er über den Messianismus bei Walter Benjamin und das nehme | |
ich mit: Unsere Politik und unser Verständnis von Zeit sind aufgebaut auf | |
der Idee, dass wir eines Tages in einen besseren Zustand geraten, Erlösung | |
erfahren, weil der Messias, der sich aufgrund unserer Sünden verspätet, | |
endlich kommt. Die Politik verfolgt Ziele, verkörpert in gewissem Sinne den | |
Versuch, diesen besseren Zustand zu erreichen, zu realisieren. Profan | |
gesprochen könnte das der Versuch sein, eine klassenlose Gesellschaft zu | |
erreichen, oder den technischen Fortschritt so weit zu führen, bis er den | |
Hunger besiegt, oder Klimagerechtigkeit für alle? Theologisch gesprochen | |
warten wir auf den Messias, anstatt glücklich in der Gegenwart zu leben. | |
Es ist Samstag Nachmittag und ich mache mich auf den Weg zum Klimastreik im | |
Wrangelkiez. Die AktivistInnen von Fridays for Future zusammen mit | |
Extinction Rebellion feiern eine friedliche Aktion, um auf die Krise | |
aufmerksam zu machen. | |
Und ich frage mich unablässig: Wie passt das alles zusammen? Wie sollen wir | |
aufhören, etwas zu realisieren und trotzdem Klimaziele erreichen? Stellt | |
uns die heutige Situation nicht vor ganz neue Denkprobleme und ein neues | |
Verständnis von Zeit? Wir sind nicht mehr die Jugend ohne Gott, von der | |
Horváth zu Zeiten Walter Benjamins schrieb. Wir sind die Jugend ohne | |
Eiskappen. | |
## Leicht und melancholisch | |
Abends fahre ich ins 8mm auf der Schönhauser Allee. Dort spielt Jorge | |
Elbrecht ein spontanes Umsonstkonzert. Die Band besteht aus einer | |
maskierten, stumm den Mund bewegenden Sängerin und einem Gitarristen in | |
OP-Kleidung, der sich immer wieder eine Nebelmaschine schnappt und Elbrecht | |
ansprüht, bis dieser ihn mit einer genervten Geste wegschubst. Elbrecht | |
kauert vor seinem Mac, eingehüllt in ein gepunktetes Tuch, und singt so | |
leicht und melancholisch, während Videobilder über ihre Gesichter flackern. | |
Die Sounds und Stimmen, von denen nur wenige wirklich aus diesem Raum | |
kommen, vermischen sich und fordern meine Aufmerksamkeit. Am Ende wird | |
Elbrecht von seinem Gitarristen/Psychatrieassistenten von der Bühne | |
getragen. Da ist so viel zu sehen und so viel zu hören, dass ich hier im | |
Nebel zwar nicht den Messias erblicke. Doch weder erreiche ich etwas, noch | |
grüble ich über Zeit nach. | |
18 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Zora Schiffer | |
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