# taz.de -- Teenager-Unglück für alle | |
> Unterschiedliche Grade an Trunkenheit, Literarizität, Diversität und | |
> Komik: Queer Poetry Slam Berlin im SO36 | |
Von Marie Serah Ebcinoglu | |
„Wenn ich uns so sehe, sind wir der vereinte Versuch eine Welt passend zu | |
machen, in die wir niemals passen konnten mit weit offenen Augen, die | |
gelernt haben zu sehen, was ungesehen blieb. Und ich könnte so viel sagen, | |
aber alles was ich habe ist: Wenn ich dich so sehe, unförmig, picklig, | |
trotzig. Weiß Gott, was bin ich stolz auf dich.“ | |
Mit diesen letzten Worten ihres Briefs an ihr Teenager-Ich, zog Veronika | |
Rieger am Dienstagabend in das Finale des ersten „Queer Slam Berlin“ ein. | |
Im SO36 battleten Slammer*innen die sich als lesbisch, schwul, trans, eben | |
als queer definieren, oder thematisch etwas zu Queerness beitragen wollten. | |
Am Start waren in der Slam-Szene bereits bekannte Größen wie Paul Bokowski | |
und Joey Juschka, aber auch einige Bühnendebuts wurden gefeiert. | |
Poetry Slams zu ausgewählten Themen sind eher selten. Begrüßenswert ist es, | |
dass nun eine Slam-Serie eigens zu, mit und von queeren Identitäten ins | |
Leben gerufen wird, finden sich diese Themen immer noch zu häufig am Rande | |
unserer Gesellschaft wieder. Trotzdem erstaunlich, dass es erst jetzt | |
passiert. Das SO36 ist in der queeren Szene ein eingeführter Ort, unter | |
anderem durch die langjährige Party-Reihe „Gayhane“. | |
Die Beiträge der sieben Teilnehmer*innen des Abends variierten in Länge, | |
Gattung, Trunkenheit des Vortragenden, Literarizität und Grad der Komik | |
oder Ernsthaftigkeit. Welche drei am Ende ins Finale einzogen und einen | |
zweiten Text präsentieren durften, wurde von einer vorher aus dem Publikum | |
wahllos gekürten Jury über Punktekarten gevotet. Besonders repräsentativ | |
war diese aufgrund unvermutet geringer Diversität des Publikums wohl nicht, | |
was sich leider in der Bewertung der Beiträge niederschlug. | |
Vor einer Regenbogenfahne führte der Autor Christian Ritter durch den Abend | |
und eröffnete mit obligatorischen Eurovision-Song-Contest Witzen die Bühne. | |
Nach der ersten Slammer*in kam ein Beitrag, der die Schwierigkeit, die | |
solche Abende in der Umsetzung leider häufig erfahren, ins Licht rückte. | |
Die sich selbst als „ekelhafte hetero passing cis im Line-up“ vorgestellte | |
Slammer*in, kündigte an, einen Beitrag über ihre politisch linke | |
Selbstverortung mitgebracht zu haben. Erste Frage: Ist das jetzt Thema | |
verfehlt? Selbstanzeigend verglich sie ihre gesellschaftlichen Privilegien | |
mit den von ihr beobachteten Ausgrenzungserfahrungen marginalisierter | |
Gruppen und resümierte: Es sei ja nicht ihr Kampf, aber hinnehmen wolle sie | |
Ungerechtigkeiten nicht. | |
Am Ende stellt sich doch die Frage: Sollte dieser Raum nicht vielleicht von | |
jemandem genutzt werden, dessen Stimme sonst nicht Gehör findet und eben zu | |
genau diesen Gruppen zählt? | |
Dem Publikum gefiel ihr Beitrag und sie zog neben Paul Bokowski, der das | |
Publikum vor Lachen zum Weinen brachte, und Veronika Rieger, in deren Brief | |
sich wohl fast alle vergangenen 14-jährigen Identitäten irgendwo | |
wiederfinden konnten, ins Finale ein. Mit unverdient wenig Punkten wurde | |
Joey Juschkas Beitrag aus der Reihe der Weltverbesserungsvorschläge | |
bedacht, lösungsorientierte Utopien zu Problemen wie Cat-Calling. | |
Im Finale trugen die Slammer*innen jeweils einen neuen Beitrag vor, die | |
Jury wurde zum Glück abgesetzt und es galt der Applaus als Maß der Dinge. | |
Am Ende trug Rieger mit einem Beitrag, der die Schwierigkeit ihrer | |
Partygespräche als „linke, queere, angehende Pfarrerin aus Bayern“ | |
hervorhob, den Sieg, eine Flasche Sekt und ein anscheinend eigens vom | |
Moderator auf der Kirmes geschossenes Regenbogenplüschherz nach Hause. | |
Am 23.07 wird der Queer Poetry Slam in seine zweite Runde gehen. Geht hin, | |
bringt alle mit die ihr kennt, vielleicht wächst die an sich lobenswerte | |
Veranstaltung dann etwas mehr an Diversität, bei Publikum wie bei | |
Vortragenden, und an Beiträgen die uns im Hannah-Gadsby-Stil mehr auf den | |
Zahn fühlen. | |
31 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Marie Serah Ebcinoglu | |
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