# taz.de -- schlagloch: Keine Seifenblasen mehr | |
> Betont leichtfertigen Optimismus haben wir uns zu lange geleistet. Und | |
> nun? | |
Hier könnte ein Satz auf schwarzem Grund stehen: „Die Autorin trauert um | |
Italien.“ Womit auch gemeint wäre: um ein zusammenwachsendes Europa. Doch | |
für einen solchen Satz gäbe es nur wieder Schelte, also doch lieber die | |
ganze Kolumne. Die Schelte käme natürlich nicht von jenen knapp 50 Prozent | |
der italienischen Wähler, die sich am Wochenende in der Wahlkabine für die | |
extreme und nationale Rechte entschieden haben. Die Schelte käme von | |
vereinzelten, sich als linksdemokratisch bezeichnenden Italienerinnen und | |
Italienern, die trotzdem der Meinung sind, dass man sich als | |
Nichtitalienerin nicht zu Italien äußern dürfe, ganz egal, ob man in dem | |
Land gelebt hat, die Sprache spricht, die politischen Entwicklungen der | |
letzten Jahrzehnte beobachtet hat oder nicht | |
So soll Europa klappen? Tatsächlich wird dieser Kontinent mitunter immer | |
noch gern extrem national gedacht, nicht nur von Extremnationalisten. Wir | |
sind nur so sehr Europäer und Europäerinnen, wie ein Truthahn auch Geflügel | |
ist. Will er sich zu Perlhühnern äußern, wird ihm das Wort abgeschnitten. | |
Um eins klar zu stellen: Ich bin keine Kulturpessimistin. Ich habe mich in | |
den letzten Wochen als Rundumpessimistin gegeben, und zwar nicht nur, weil | |
ich derzeit vieles als den Pessimismus anregend erlebe. Ich bin es auch | |
schlicht deshalb, weil ich in dem leichtfertigen Daueroptimismus der | |
jüngeren Vergangenheit, der sich zwischen lustiger Verantwortungsmüdigkeit | |
und bequemer Gleichgültigkeit gut eingerichtet hatte, eine der | |
Grundvoraussetzungen für die derzeitige politische Situation vermute. | |
„Es ist ja noch mal gut gegangen.“ Das ist der Satz meines bisherigen | |
politischen Lebens – nicht, weil ich ihn so oft gesagt hätte oder er in | |
irgendeiner Hinsicht richtig wäre, sondern weil er der Satz ist, mit dem | |
man, solange ich denken kann, also etwa dreieinhalb Jahrzehnte, die | |
Entwicklungen kommentierte, voraussagte, abschloss. Dieser Satz, den man | |
vor alles Mögliche – Leitartikel, Meinungsäußerungen, unmutige Träume – | |
stellen konnte, fasst recht schlicht zusammen, was schiefgelaufen ist in | |
den letzten Jahren, Jahrzehnten, in denen natürlich bei Weitem nicht alles | |
noch mal und auch nicht zum ersten Mal gut gegangen ist. Der Satz ist in so | |
einem erheblichen Maße trügerisch, wie es am Morgen nach der Wahl Donald | |
Trumps, am Morgen nach dem Brexit-Referendum noch überhaupt nicht abzusehen | |
war. Oder doch, abzusehen war es, man hatte nur keine Lust. | |
Es ist ein Satz, der das Gefühl vermittelte, dass nichts wirklich nötig | |
ist, dafür vieles möglich, von Apathie bis Rebellion, so richtig ändert | |
sich ohnehin nichts. Nostalgie nach ebendieser Zeit hat auch einen Hauch | |
von Regression, die Rückkehr ins Bequeme und Sichere, in eine Zeit ohne | |
wirkliche Verantwortung, auf die riesige Spielwiese, in der man rumtoben | |
konnte, in die nicht endende Kindheit. Und weil ja alles Schöne sowieso | |
nicht enden muss, hört man auch mit Ende dreißig noch total gern Drei | |
Fragezeichen und kauft in einer Boutique in Prenzlauer Berg überteuerte | |
Seifenblasenröhrchen, die nicht etwa für den quengelnden Nachwuchs gedacht | |
sind, denn der ist ja grad beim Kinderyoga, sondern für einen selbst. | |
Dieser Alltag stand auch deshalb so sicher da, weil er meist an den Grenzen | |
des eigenen Gartenzauns endete. Natürlich war der leichtfertige | |
Daueroptimismus von vornherein ein Trugschluss, aber das Bemerkenswerte | |
ist, dass wir, auch wenn wir diesen Trugschluss intellektuell einsehen, | |
unser Gefühl dazu so viel schwerer ändern können. | |
Es gab und gibt noch immer auch eine leichte Revolutionslust, eine | |
Zerstörungswut aus diesem sehr bequemen, unverrückbaren Alltag heraus oder | |
schlicht ein ironisches Nichternstnehmen von allem. Wählen? Ja klar, | |
Rimbaud, dieses Jahr Rimbaud. Oder doch lieber Victor Hugo? Repräsentative | |
Demokratie gesehen als ein abgekartetes Gesellschaftsspiel, an dem man, | |
weil man ja klüger, mindestens mutiger ist, nicht teilnimmt. Die Abstinenz | |
als hinreichende politische Aussage. Der Frage, wie oft die Systemablehnung | |
von links tatsächlich konstruktiv durchdacht ist, kann man noch jene | |
hinterherschicken: Was dann? Rückzug in die Kunst, in die Literatur, in die | |
Kritik? Abheben vom Boden in einer riesigen ironischen Seifenblase? Da, wo | |
der Optimismus sich zum Utopischen hin öffnen könnte, kippt er noch viel | |
einfacher in Eskapismus um. | |
Natürlich, dem utopischen Denken selbst haftet ja etwas Eskapistisches an, | |
es ist immer ein Spiel mit Phantasmen, irrealen Vorstellungen, mit einer | |
Zukunft, die man selbst vermutlich nicht erleben wird, und natürlich kann | |
man, wenn man es bequem haben will, sowieso wieder dem bösen | |
Neoliberalismus die Schuld an allem in die Schuhe schieben, hat dieser doch | |
spätestens in den Neunzigern mit dem Toyota-Werbeslogan „Nichts ist | |
unmöglich“ den utopischen Optimismus aufgekauft und zu einer leeren | |
Dauerschleife gemacht. Vielleicht bleibt als Antwort, als Gegenrede ja | |
wirklich nur der Satz, den Jim Jarmusch den Hilfssheriff in seinem neuen | |
Zombiefilm „The Dead Don’t Die“ ständig wiederholen lässt: „Das wird … | |
gut ausgehen.“ Was er damit meint, wird er von seinem Vorgesetzten gefragt, | |
doch eine Antwort bleibt er schuldig, bis Jarmusch es am Ende auf einer | |
Metaebene auflöst. | |
Also doch lieber die leere Seite? Zwischen Metapessimismus und | |
Seifenblasenoptimismus kann man sich aber noch für etwas anderes | |
entscheiden, und die Wahl von Victor Hugo ist dabei so absurd nicht. „Un | |
jour viendra“, hat er vor 160 Jahren als Redner bei der Friedenskonferenz | |
prophezeit und das utopische Bild eines friedlichen, gemeinschaftlichen | |
Kontinents gezeichnet. Man kann einwenden, dass es gerade so dann erst | |
einmal nicht gekommen ist. Man kann so einen Glauben an das utopische | |
Entwerfen auch schlicht sonntagsrednerisch und albern finden. Aber ehe man | |
direkt zur Traueranzeige übergeht, wäre es noch mal einen Versuch wert. | |
29 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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