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# taz.de -- Der blaue Korpsgeist erwacht
> Beim Bezirksfest der FPÖ in Wien wird klar: Das Strache-Video wird der
> Partei nicht schaden. Im Gegenteil
Bild: AnhängerInnen der Partei, die ihre Wähler unentwegt als Außenseiter ad…
Aus Wien Solmaz Khorsand
Der Wallensteinplatz, eine U-Bahn-Station von Wiens Innenstadt entfernt,
ist ein Bilderbuchbeispiel für urbane Durchmischung. Ein öffentlicher Raum,
wo türkische Großmütter mit ihren österreichischen Pendants die Parkbank
teilen. Wo Kinder aus dem Gemeindebau mit jenen aus der Eigentumswohnung um
die Wette quietschen, wenn sie um die aus dem Boden schießenden
Wasserfontänen laufen. Wo Väter im Eissalon ihren Espresso schlürfen,
während die Mütter im Altwienercafé nebenan durch internationale Zeitungen
blättern.
Hier will Mario Präsenz zeigen. Ganz besonders an einem Tag wie diesem. Mit
ein paar Mitstreitern steht er hinter einem Infostand. Er macht Wahlkampf
für die FPÖ. Am Sonntag wird ein neues EU-Parlament gewählt. Und Mario will
die Stellung halten. Mit Sakko, Hemd und Sonnenbrille steht der 19-jährige
Maurer herausgeputzt da. Selbstbewusst, höflich, zugänglich. Er will sich
von seiner besten, seiner professionellsten Seite zeigen. In Zeiten wie
diesen schuldet er das seiner Partei. Seit er wählen kann, mit 16 Jahren,
gehört seine Stimme der FPÖ, den Blauen, wie die Partei in Österreich nach
ihrer Parteifarbe genannt wird.
Mario lässt die Blauen nicht hängen, egal was ihr Parteichef sagt, wenn er
besoffen ist.
Am Vortrag war das Video veröffentlicht worden, in dem FPÖ-Chef
Heinz-Christian Strache und sein Parteikollege Johann Gudenus auf Ibiza
einer vermeintlichen Oligarchennichte auf den Leim gehen. Während ein Teil
der Republik jubelt, posten die FPÖ-Anhänger in den sozialen Medien fleißig
Selfies mit Strache. Mit der Widmung „Danke HC“, die Initialen seines
Vornamens.
Auch Marios Facebook-Seite ist voll mit HC-Bildern. Zum Beweis holt er sein
Handy hervor. „Wir stehen zu ihm. Jeder sagt mal Blödsinn, wenn er b’soffen
ist“, sagt er, „Ich will mir mal die Parteivorsitzende der Sozialdemokraten
anschauen, was die sagt, wenn sie abgefüllt wird.“
Seine Kollegen lächeln nervös. Mulmig war ihnen am Vormittag, als sie ihren
Infostand hier im 20. Bezirk aufgestellt haben. Wie professionell schaffen
sie es zu sein, falls einer das Handy zückt und vor ihnen hämisch das
Partylied „We are going to Ibiza“ von den Vengaboys abspielt?
Bis jetzt war alles zivilisiert. In Ruhe konnten sie ihre Zelte aufbauen,
die Sitzbänke aufstellen, die Hüpfburg für die Kinder aufblasen, das
Spanferkel anrichten.
Im Hintergrund die FPÖ-Veteraninnen aus dem Bezirk. Es sind rüstige
Mittsechzigerinnen, in karierten Hemden und knielangen Jeansröcken, die
sich um die Logistik des Fests kümmern, darauf achten, dass alles dort ist,
wo es sein soll, dass die Band was zu trinken bekommt, dass genug
Sauerkraut für das Spanferkel da ist. Seit Jahrzehnten haben diese Frauen
jedes Auf und Ab in der freiheitlichen Partei mitverfolgt. Jeden Skandal
und jeden Einzelfall – und sie sind geblieben. Trotz allem. Oder gerade
deshalb.
Das Video wollen sie nicht kommentieren und verweisen auf die „Obrigkeit“,
die soll die Anfragen beantworten. Sie verteilen nur blaue Kugelschreiber,
Flyer und verkaufen selbst gebackenen Kuchen.
Untereinander fällt schon einmal ein Kommentar.
„Eine hat mich heut blöd angeredet“, erzählt eine Veteranin, während sie
einer Frau ein Stück ihres selbst gebackenen Kuchens runterschneidet.
Regelrecht angekläfft wurde sie wegen dem Strache-Video.
Die Frau reißt die Augen auf: „A Frechheit! Und? Hast ihr eine aufgelegt?“,
will sie wissen.
Die Veteranin schüttelt den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Stell dir vor,
das filmt einer?! Wie erkläre ich dann, dass die mich provoziert hat.“
Beide nicken. Heute ist definitiv nicht der Tag, um sich provozieren zu
lassen.
Peinlich war das Ibiza-Video. Das findet auch Mario. „Man muss aber schon
differenzieren und schauen, was der Strache geleistet hat“, sagt er. „Er
hat die Partei aufgebaut.“
Diesen Satz sagen viele hier. Daran halten sie sich fest, wenn sie auf
ihren Smartphones die TV-Sondersendungen streamen, in denen das Video in
Dauerschleife gezeigt wird. Strache hat die Partei übernommen, als sie
keiner wollte. Er hat sie in die Regierung gebracht. Und auf dem Zenit
seiner Karriere als Vizekanzler der Republik wird er von all denen
gestürzt, die es ihm nie gegönnt haben. Strache, der strauchelnde Underdog.
Das Image zieht, bei Anhängern einer Partei, die ihre Wähler unentwegt
adressiert als Außenseiter.
Aufgebracht kommt eine Frau zum FPÖ-Stand am Wallensteinplatz, im
Schlepptau hat sie ihren Ehemann. Beide sind in ihren 70ern. Die Frau
zittert vor Aufregung. „Eine Schweinerei ist das“, schnauft sie. Der Sprint
quer über den Platz hat sie sichtlich erschöpft. Sie versucht sich zu
beruhigen. Der Inhalt des Videos interessiert sie nicht. Sie fühlt sich
nicht hintergangen, weil Strache, der sich immer schützend als Saubermann
vor den kleinen Mann und die kleine Frau stellte, nun ohne Hemmung bereit
war, für ein paar Rubel die Republik an eine Russin zu verkaufen. Das stört
sie nicht. Sie stört, dass es so heimtückisch gefilmt wurde.
Die drei jungen Männer hinter dem Stand nicken verständnisvoll, während
sich die Frau in Rage redet über den gemeinen Hinterhalt. Dann hält sie
kurz inne.
„Gut, dass ihm das passiert ist“, sagt sie plötzlich. „Sonst hätten sie…
umgebracht. So wie damals den Haider.“ Bei einem Autounfall 2008 kam Jörg
Haider, Straches Ziehvater, ums Leben – mit 1,8 Promille im Blut. Bis heute
zweifeln seine Anhänger an dieser „Version“ der Geschichte.
Zum Glück ist dem HC dieses Schicksal erspart geblieben, findet die Frau.
Zum Glück. Die drei Männer nicken. Zum Abschied hält der Mann der Frau
seine Hände zu Fäusten zusammengekniffen in die Höhe: „Wir drücken euch d…
Daumen“, sagt er.
Die drei Jungs schauen ihnen dankbar nach. So viel Zuspruch hätten sie sich
an diesem Tag nicht erwartet. Fast könnte man glauben, es sei nichts
passiert. Die Sonne scheint, tätowierte Männer mit nackten Oberarmen
trinken ihr Bier, die Band Sweetheart spielt Oldies, Roma-Frauen holen sich
eine zweite Portion gratis Schweinefleisch, die Bezirksprominenz tuschelt
an einem der Stehtische, und ein paar Meter weiter lassen Musliminnen ihre
Kinder vor der Hüpfburg von FPÖ-Anhängerinnen schminken.
Ein ganz normales FPÖ-Bezirksfest in Wien.
Nach ein paar Stunden stellt sich ein junger Mann mit Steppjacke
unvermittelt zu den Gesprächen dazu, misstrauisch schaut er auf den Block.
Dann flüstert er den Ansprechpartnern ins Ohr, dass sie aufhören sollen,
mit der Presse zu sprechen. Wenn er von diesen angemault wird, dass man
sich nicht den Mund verbieten lässt, schleicht er sich vorsichtig zurück
mit den Worten „Ich gebe nur weiter, was die Bezirksvertretung sagt“, und
schaut auf eine ältere Dame. Verraten von ihrem Botschafter, vermeidet sie
jeden Blickkontakt und versteckt sich im Getümmel.
Kurz nach 15 Uhr stellt sich eine junge Frau mit langen braunen Haaren,
dunkelblauem Sakko und lehmfarbenen Ballerinas an einem Stehtisch vor die
Bühne. Es ist Petra Steger, die Tochter des einstigen FPÖ-Parteichefs
Norbert Steger. Abgekämpft sieht sie aus. Bis vor einer Stunde war die
ehemalige Basketballspielerin bei einem Parteifest im 16. Bezirk. Wenige
sind gekommen, die Stimmung war angespannt, heißt es aus ihrer Entourage.
Hier am Wallensteinplatz sind es immerhin knapp 100 Leute. Hier lohnt es
sich, Wahlkampf zu machen. Petra Steger kandiert für einen Sitz im
EU-Parlament. Hinter der Veröffentlichung des Videos sieht sie ominöse
Machenschaften. „Sie haben sich gefürchtet vor uns.“ „Sie haben uns in
dieser Regierung verhindert, aber sie werden nicht verhindern, dass wir bei
der EU-Wahl Erfolg haben werden.“ Wer „sie“ sind, sagt Steger bei ihrem
Auftritt am Wallensteinplatz nicht. Die Menge hört ihr gebannt zu.
Rasch wird klar: Dieses Video wird der FPÖ nicht schaden. Im Gegenteil. Das
ist der Stoff, aus dem Phönix-aus-der Asche-Mythen gesponnen werden. In
solchen Momenten erwacht der blaue Korpsgeist.
Endlich ist die alte FPÖ wieder da. Die aus dem Abseits keppelt. Gegen die
da oben, unten, rechts und links. Das ist die Rolle, die sie beherrscht wie
keine andere. In der sie zu Hochform aufläuft, nicht jene geknickter
Staatsmänner, die sich dauernd von ihren identitären Bekannten distanzieren
müssen.
Verlacht von den Medien, isoliert von den anderen Parteien und verhöhnt vom
Ausland, ist die FPÖ nun wieder in der Rolle, in der sie sich ihren Wählern
seit Jahrzehnten am besten verkaufen konnte: als Opfer.
Der Wahlkampf hat begonnen. Die FPÖ ist startklar. Und ihre Wähler auch.
Dieser Artikel erschien auch in der Schweizer Republik.
25 May 2019
## AUTOREN
Solmaz Khorsand
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