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# taz.de -- Schwindende Potenz
> Die Krise der Wirtschaft trifft den ohnehin krisenanfälligen türkischen
> Fußball: Wie Galatasaray Istanbul Meister wird vor dem Erdoğan-Klub
> Başakşehir FK
Bild: Lustige Luftnummer: Galatasarays Keeper Fernando Muslera hüpft Ryan Donk…
Von Tobias Schächter
Und dann drohte Fatih Terim Robinho auch noch zu verprügeln. Der Trainer
von Galatasaray Istanbul konnte aber gerade noch daran gehindert werden,
den brasilianischen Star von Başakşehir körperlich zu attackieren,
allerdings erwischte er wohl Orhan Ak, Co-Trainer der Gäste, der klagte:
„Terim hat mich geschlagen.“
Terim gab am Sonntagabend vor fast 50.000 Zuschauern in der Arena von
Galatasaray mal wieder beide Rollen: die des Trainers und des
Ultra-Anführers. Die Verfehlungen in seiner langen Karriere sind so
zahlreich wie die Erfolge. Vor zwei Jahren kostete Terim die Verwicklung in
einen Nachbarschaftsstreit seines Schwiegersohns samt Schlägerei den Posten
des türkischen Nationaltrainers. Am vorletzten Spieltag der Liga peitschte
der wuchtige Mann aus Adana sein Team im Duell gegen den direkten
Konkurrenten Başakşehir nach einem Rückstand noch zu einem 2:1-Sieg – und
damit zum 22. Titelgewinn. Für Terim ist es die achte Meisterschaft in
seiner vierten Amtszeit bei „Cimbom“. Nur ein paar Tage zuvor feierte der
Klub nach einem 3:1 gegen Akhisar Belediyespor den Pokalsieg.
Başakşehir-Coach Abdullah Avcı gratulierte zur Meisterschaft, kritisierte
Terim aber scharf: „Ein Trainer stürmt nach einem Tor als gesamtes Rudel
auf uns zu, greift uns an, beleidigt uns und verteilt Fäuste. Kurze Zeit
später das Gleiche nochmal. Das ist der Grund, warum wir nicht
weiterkommen.“ Avcı meinte den türkischen Fußball, der seit Jahren von
Manipulationsvorwürfen, Einmischung der Politik, Fan-Ausschreitungen,
skandalösem Verhalten von Verantwortlichen und ruinösem Geschäftsgebaren
geprägt ist.
Mit dem Meisterschaftsgewinn wendete Galatasaray den drohenden Machtwechsel
in der Süperlig erst einmal ab. Die Angst der etablierten Klubs wie
Galatasaray, Beşiktaş und Fenerbahçe ist groß, dass Başakşehir die Phalanx
ihrer Seriensiege dauerhaft durchbrechen könnte. Seit der Gründung der
Süperlig 1959 konnten in Trabzonspor sowie Bursaspor nur zwei andere
Vereine als die Großklubs aus Istanbul den Titel gewinnen. Doch in
Başakşehir wuchs in den letzten Jahren ein ernsthafter Herausforderer
heran, der lange wie der neue Meister aussah. Vom 10. bis zum 30. Spieltag
führte der Retortenklub aus einem Istanbuler Vorort, der 1990 als Verein
der Stadtverwaltung gegründet wurde und sich 2014 als Başakşehir FK neu
erfand, die Tabelle an. In den letzten sechs Partien aber verspielte die
Elf einen Sechs-Punkte-Vorsprung auf Galatasaray, das nun einen Spieltag
vor Saisonende als Meister feststeht.
Başakşehir wird von potenten Unternehmen unterstützt, die der
Regierungspartei AKP nahestehen. Die Verbindungen in die Politik und zu
Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sind sogar verwandtschaftlicher Natur:
Başakşehir-Präsident Göksel Gümüşdağ ist mit einer Nichte von Erdoğans…
verheiratet. Erdoğan selbst weihte 2014 das neue Stadion ein, in dem
allerdings nur knapp 3.000 Leute im Schnitt die Spiele verfolgen.
Başakşehir ist schuldenfrei, während allein die Großklubs Galatasaray,
Beşiktaş und Fenerbahçe Istanbul mit rund 1,4 Milliarden Euro verschuldet
sind.
Das auf schnellen Erfolg und die Allmacht von Vereinspräsidenten aufgebaute
Geschäftsmodell ist nach dem Verfall der heimischen Währung endgültig
gescheitert. Auf Betreiben der Regierung legten Anfang des Jahres der
türkische Fußball- und der türkische Bankenverband ein umstrittenes
Rettungsprogramm über zwei Milliarden Euro auf; bis zur Konsolidierung soll
die Staatsbank Ziraat die Schulden einiger Klubs übernehmen.
Der Titelgewinn von Galatasaray wird durch seltsame
Schiedsrichterentscheidungen zugunsten des Klubs belastet. Beim letzten
Auswärtssieg in Rize (3:2) gab der Schiedsrichter einen Elfmeter für
Galatasaray, obwohl das Spiel nach einer Eckenentscheidung noch gar nicht
fortgesetzt worden war. Rizespors Präsident Hakan Kartal polterte im TV:
„Hätte ich eine Pistole dabei, würde ich ihn im Stadion erschießen. Wie
soll ich mich kontrollieren? Man wird noch zum Mörder aufgrund dieser
Schiedsrichter.“
Başakşehir-Präsident Gümüşdağ, aber auch Verantwortliche anderer Klubs
rückten die Ereignisse in einen Manipulationszusammenhang.
Fenerbahçe-Präsident Ali Koç erklärte: „Das ist ein trauriger Tag. Ich ha…
schon immer gesagt, dass sich der türkische Fußball einer Säuberung
unterziehen sollte. Der türkische Fußball muss endlich aufstehen. Es ist
der perfekte Zeitpunkt, mit den bevorstehenden Wahlen auszumisten.“ Im Juni
wird ein neuer Verbandspräsident gewählt. Der alte Verbandsboss Yıldırım
Demirören musste wegen eines Interessenkonflikts zurücktreten, nachdem der
Unternehmer, der unter anderem in Besitz wichtiger Medienhäuser ist, jüngst
auch den größten Wettanbieter der Türkei kaufte.
22 May 2019
## AUTOREN
Tobias Schächter
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