# taz.de -- der rote faden: Maientage mit sackdebilen Horrorfressen | |
Durch die Woche mit Klaus Raab | |
Die Hasenheide in Neukölln ist ein beliebter Berliner Park, der von | |
Familien, Joggern, Grillern, Slacklinern, Genussvieltrinkern, | |
Nacktsonnfreunden und Kiffern gleichermaßen gern aufgesucht wird. Sommers | |
werden noch die Lamas aus dem auf dem Gelände befindlichen Streichelzoo | |
herumgeführt. Alle kommen in der Regel gut miteinander klar, solange die | |
Kinder am Kiosk der Hasenschänke nicht aus Versehen eine halbe Sekunde zu | |
lange auf die Karte mit den Eispackungen gucken müssen und so den Schlange | |
stehenden Genussvieltrinkern ihre wertvolle Zeit rauben. | |
Ein paar Regeln gibt es auch. So gilt es zum Beispiel als unangemessen, in | |
der angrenzenden Minigolfanlage mit Schlägern Mitmenschen zu traktieren. | |
Hunde dürfen zudem nur im dafür vorgesehenen Bereich aufeinander losgehen. | |
Ihre Geschäfte dürfen sie natürlich auch im Restpark verrichten, weil Köter | |
von Kot kommt, wie Wiglaf Droste schrieb – wie sollte man ihnen das auch | |
verbieten? Aber man tritt nicht häufiger in einen Haufen als im Rest der | |
Stadt. | |
Es funktioniert insgesamt also gut, es herrschen Freiheit und Frieden. Aber | |
irgendwie leben alle auch ein bisschen aneinander vorbei. Man ist eher | |
bemüht, seine Mitmenschen nicht zu stören, etwa durch Frisbeewürfe auf | |
benachbarte Picknickdecken, als sich mit ihnen zu einer großen fröhlichen | |
Hasenheiden-Community, einer echten Emotional Union zusammenzuschließen. | |
Ohne die anderen Leute wäre die Atmosphäre komplett im Eimer, man hätte | |
nichts zu gucken, das Leben wäre schlechter. Aber sie sind halt trotzdem | |
gefühlsmäßig nicht das eigene Business. | |
Einmal im Jahr nun finden in der Hasenheide die „Maientage“ statt, deren | |
Name nicht ganz zufällig gewählt ist; die Tage liegen nämlich im Mai. Es | |
handelt sich um ein Volksfest, das viele Menschen aus dem nicht eben | |
übertrieben poshen Neukölln am liebsten mittwochs besuchen, weil dann | |
Familientag ist, an dem alles die Hälfte kostet. Eine Kinderkarussellfahrt | |
schlägt dann mit 1,25 Euro zu Buche, ein fairer Preis. Viermal einen | |
Lederball auf eine Torwand zu schießen kostet zwar auch dann noch 5 Euro. | |
Dafür, das gehört zur Wahrheit dazu, gibt es aber auch keine Warteschlange. | |
In der Nähe eines Eingangs steht in diesem Jahr eine Trampolinanlage. | |
Weniges begeistert Fünfjährige so sehr wie Trampoline. Kinder sind | |
Gewohnheitstiere, sie kennen das Prinzip von der heimischen Couch, die sie | |
bespringen, sobald man ihnen mitteilt, dass nun Schlafenszeit sei. Man kann | |
ihnen auch sagen, dass Essenszeit sei, das ist egal. Schlafen oder Essen, | |
beides bedeutet in der Sprache der Fünfjährigen: hüpfen. | |
Direkt vis-à-vis dieser Kinder vorbehaltenen Anlage befindet sich der | |
düstere Bau einer Actionshow, in deren Rahmen Schausteller als aus | |
Horrorfilmen bekannte Gestalten auftreten, um die Besucherinnen in Angst | |
und Schrecken zu versetzen. Besucher sind gewiss auch dabei, zu hören sind | |
aber ausschließlich hohe Schreie, was den Fachmann eher auf Frauen | |
schließen lässt. Zu den auftretenden Figuren gehört Michael Myers, der | |
finstere Gesell aus der „Halloween“-Reihe; er schwingt auf fiese Art ein | |
langes Messer. Auch ein kopfseitig angenagter Zombie ist von den | |
Trampolinen aus ganz prima zu sehen. | |
Was tut der helikopternde Vater? Er deutet während der Wartezeit wahllos | |
auf herumstehende Bäume und trillert: „Oh, schau mal, da ist ein Vogel!“ | |
Er hat die Rechnung allerdings ohne den Trampolinonkel gemacht, der das | |
Kind angurtet, zur Actionshow deutet und fragt: „Hast du den Zombie schon | |
gesehen?“ | |
Es ist ein bisschen wie dieser just im Schwange befindliche Wahlkampf. Auf | |
der einen Seite gibt es Angebote für Fünfjährige: Menschen in blauen | |
Pullovern mit gelben Sternchen wollen, dass man sie wählt, weil sie blaue | |
Pullover mit gelben Sternchen tragen und folglich wohl für den | |
institutionalisierten Zusammenhalt sind, und Blümchen und Bienchen und | |
Vögelchen mögen sie auch. Auf der anderen Seite die sackdebilen | |
Horrorfressen, von denen man die Augen einfach nicht lassen kann, während | |
sie versuchen, den Leuten Angst einzujagen. | |
Gut nur, dass es am Nachbarstand Bier gibt, das dort „Suppe des Tages“ | |
heißt. Mit Suppe ist manches gleich viel wurster. Sollen sie’s halt | |
mitkriegen, die Kids, dass es so was gibt, was will man machen, man muss | |
der Wirklichkeit ins Auge und so weiter. Und das Tolle ist, sobald das | |
Hüpfen beendet ist, interessiert Michael Myers umgehend wieder einen Dreck, | |
denn da hinten, da!, ist ein Hund, vorbildlich angeleint. Und Entenangeln | |
und Zuckerwatte und Riesenrad und Wilde Maus und weiß der Fuchs, und alles, | |
wirklich alles ist interessanter als die Zombies. Und nur wenige Suppen | |
später schon geht man zuversichtlich und beschwingt nach Hause und denkt: | |
Mensch, es wird doch noch alles gut. Tagessuppe ist die Antwort. | |
Nächste Woche Ariane Lemme | |
18 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Klaus Raab | |
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