| # taz.de -- Möglichst wild | |
| > Ines Alkewitz hält Bienen, macht aber vieles anders als eine gewöhnliche | |
| > Imkerin. So war das bei ihr immer schon: Als erste Frau arbeitete sie in | |
| > einer Gärtnerei, sie frisierte ihr Motorrad und lebt heute als Einzige in | |
| > der Nachbarschaft in einem blauen Haus | |
| Bild: Die Tierschützerin: Als die Dorfbewohner nicht aufhörten, ihre Hunde an… | |
| Von Jolinde Hüchtker (Text) und Wolfgang Borrs (Fotos) | |
| An ihrer Haustür hängt ein Schild: Imkerin im Einsatz. Dabei stimme das | |
| jetzt gar nicht mehr, Zeidlerin im Einsatz müsste dort stehen. Denn | |
| gewöhnliches Imkern ist nichts für Ines Alkewitz. Zu Besuch im | |
| brandenburgischen Dorf Zernikow. | |
| Draußen: Das Haus mit der knallblauen Fassade, über die sich die Nachbarn | |
| erst aufgeregt haben, ist von Grün umgeben. Auch ihr Vorgarten, obwohl Ines | |
| Alkewitz Vorgärten eigentlich nicht mag. Durch das Gartentor, zwei, drei | |
| Stufen hoch zur Haustür. Ein magerer Pflaumenbaum steht vor dem Fenster, | |
| Mitte der 90er Jahre gepflanzt. Aber Früchte wollte er nicht tragen. Da | |
| empfahl der Imker aus dem Haus gegenüber Bienen. Im nächsten Sommer war der | |
| Baum so voll mit Pflaumen, dass die Krone abbrach. | |
| Drinnen: Kaffee aus der Thermoskanne, schwarz mit einem dicken Löffel | |
| Honig, bietet sie an. So trinken ihn die Imker im Osten, erzählt sie; was | |
| Bienen angeht, schaut sie stets nach Polen, Weißrussland, die Ukraine. | |
| Außer ihr leben vier Windhunde im Haus. Einer liegt auf dem Sessel, zwei | |
| auf dem Sofa, einer unterm Schreibtisch. Über dem Hundekorb hängt eine | |
| Malerei vom Dreigestirn der Alpen: Eiger, Mönch und Jungfrau. | |
| Die Windspiele: Die zwei kleinen Hunde sind italienische Windspiele, wie | |
| sie Friedrich der Große in Potsdam hielt. Alkewitz rückt die Decke der | |
| Tiere neben sich zurecht. Inzwischen werden sie mit so kurzem Haar | |
| gezüchtet, dass sie ständig frieren. In der Nachbarschaft hätten früher | |
| einige ihre Hunde angekettet. „Das Tierschutzgesetz verbietet aber Ketten“, | |
| sagt Alkewitz, deswegen habe sie die Hunde einfach immer wieder losgebunden | |
| und die Nachbarn so oft darauf angesprochen, bis es ihnen peinlich war. | |
| Inzwischen bindet nur noch ein Nachbar seinen Hund an. | |
| Der Wolf: Mehrmals wurde in der Gegend um Zernikow ein Wolf gesichtet. | |
| Alkewitz beschreibt das Zucken der Pupillen bei den Menschen, wenn sie das | |
| Wort „Wolf“ hören. „Eine Urangst haben sie“, erzählt sie, „dabei is… | |
| Wahrscheinlichkeit, von einem Hund zerfleischt zu werden, viel größer.“ | |
| Wenn ein Wolf an die schlecht geschützten Schafe geht, wollen die Besitzer | |
| ihn direkt erschießen. „Dabei hätten sie die dicken Tiere zu Ostern | |
| wahrscheinlich ohnehin gebraten.“ | |
| Der Schwefel: Als ihr Nachbar von gegenüber älter wurde und sich nicht mehr | |
| um seine Bienen kümmern konnte, sollte Alkewitz sie abschwefeln, also | |
| töten. Anscheinend nahm sie aber zu wenig Schwefel – Gott sei Dank, sagt | |
| sie heute. Als sie ein paar Stunden, nachdem sie den Schwefel gezündet | |
| hatte, in den Bienenwagen sah, waren die Bienen gut drauf. Als ob sie die | |
| Luft angehalten hätten, bis der Rauch vorbei war. Die Tiere nahm Alkewitz | |
| dann mit. Zwölf Schwärme hatte sie irgendwann, im vergangenen Winter verlor | |
| sie neun davon, wahrscheinlich durch Milbenbefall. | |
| Abwehr: Inzwischen ist sie immun gegen das Bienengift. Auf Fotos sieht man | |
| sie aber mit zugeschwollenem Gesicht und riesigen Pranken. Einmal hatte sie | |
| eine Kiste mit Bienen fallen lassen. Die aufgeschreckten Tiere wollten ins | |
| Dunkle, in die Ärmel und Hosenbeine, 20 oder 30 Stiche trug sie davon. | |
| Seitdem juckt es nur noch kurz, wenn sie gestochen wird. | |
| Die Batteriebiene: „Der ganze Ansatz der Imkerei ist, die Biene zu | |
| verarschen. Wie beim Batteriehuhn“, meint Alkewitz. Man nehme ihr den Honig | |
| weg und tausche ihn gegen Zucker. Alkewitz ist keine Berufsimkerin, sondern | |
| Landschaftsarchitektin, ihr Leben hängt nicht von verkauftem Honig ab. | |
| Stattdessen verfolgt sie ein Naturschutzprojekt: Sie will die Bienen zurück | |
| in ihr natürliches Habitat bringen. Selbst im Wald gebe es nur noch | |
| Monokulturen, die Bienen verhungern dort. | |
| Das Zeidlerhandwerk: Die Zeidler haben sich das Honigsuchen von den Bären | |
| abgeschaut. Sie halten sich keine Bienen, sondern suchen sie im Wald. Das | |
| natürliche Habitat der Biene ist die Baumhöhle, nicht der Stock. In | |
| Deutschland wurde das Zeidlerhandwerk verdrängt, von Rohrzucker und | |
| Zuckerrüben. Weiter östlich hat es in den Grundzügen an einigen Orten | |
| überlebt: Im russischen Uralgebirge und auch in der ukrainischen Stadt | |
| Olwesk, die Alkewitz besucht hat. Dort hängen sie hohle Baumstammteile, | |
| sogenannte Klotzbeuten, in die Bäume. | |
| Der Honig: Ihre Bienen leben nun auch in Klotzbeuten im Zernikower Garten. | |
| Sie füttert den Tieren keinen Zucker zu, sondern lässt ihnen einen Großteil | |
| ihres eigenen Honigs. Auch verzichtet sie bei ihren Bienen auf künstliche | |
| Befruchtung. Möglichst wild sollen sie leben. Manchmal stehen Leute am | |
| Gartenzaun, Alkewitz erzählt dann gerne von ihrem Handwerk. Deswegen plant | |
| sie auch Bildungsangebote. Das neuste ist ein Programm zur Wiederbelebung | |
| der Zeidlerei, das vom Land Brandenburg als Bildung für nachhaltige | |
| Entwicklung zertifiziert werden soll. Dann kämen auch die Schulklassen, um | |
| die Zeidlerei von ihr zu lernen: wie man Waben entnimmt, welches Kraut | |
| gegen die Varroa-Milbe hilft und wie man einen zeidlerischen Bienenstock | |
| baut. | |
| Die Region: Das Dorf Zernikow gehört zur Naturparkregion Stechlin-Ruppiner | |
| Land. Alkewitz zeigt dort als Landschaftsführerin Besuchergruppen den Wald. | |
| Die Berliner, die vorbeikommen, wüssten, was eine Weinbergschnecke ist, | |
| aber die Leute auf dem Dorf hier, die wüssten das nicht, erzählt sie. Sie | |
| schmeißen ihren Müll überall hin und sägen Bäume ab, beobachtet Alkewitz. | |
| Sie will vor der eigenen Haustür anfangen und kandidiert als Grüne für den | |
| Ortsbeirat Zernikow. Damit sie mitbekommt, was in der Gemeinde passiert: | |
| 600 Hektar Spargel seien angepflanzt worden; hätte sie vorher davon | |
| gewusst, hätte sie für eine Umweltverträglichkeitsprüfung gestimmt. Jetzt | |
| lägen riesige Flächen unter Plastik. | |
| Die Rebellion: Erst wollte sie Rennreiterin werden. Sie ist in Wuppertal | |
| aufgewachsen, im neunten Stock eines Hochhauses an einer Autobrücke. Nachts | |
| haben die Autos gewummert an der Stelle, wo die Brückenteile | |
| zusammenstoßen, „babom, babom“, beschreibt sie das Geräusch. Reiten wollte | |
| sie lernen, aber den Eltern fehlte das Geld und überhaupt sollte sie was | |
| Vernünftiges machen. Schule hat sie ständig geschwänzt: „Ich hatte keinen | |
| Bock.“ Ihre Eltern besorgten ihr einen Ausbildungsplatz zur | |
| Zahntechnikerin, einen einzigen Tag hielt sie es dort aus. Dann haute sie | |
| mit dem Motorrad ab und probierte es mit der Gärtnerei. | |
| Wasserski: In ihrem Lehrbetrieb für Gärtner war sie die erste Frau, zuerst | |
| wollte man sie gar nicht nehmen. Keine Toiletten für sie, hieß das | |
| Argument. Respekt verschaffte sie sich dann aber schnell: Ihr Chef fuhr an | |
| den Wochenenden Wasserski auf dem Rhein und nahm die Lehrlinge manchmal | |
| mit. Alkewitz fuhr bald abwechselnd sein Motorboot und stand hinten auf den | |
| Skiern. Um schneller zur Arbeit zu kommen, frisierte sie ihr Motorrad – | |
| irgendwann fuhr es 75 statt 25 km/h. In der Abschlussprüfung konnte sie | |
| quasi im Schlaf eine Fräse zerlegen, fragte: „Und jetzt?“ | |
| Kassel: Holländischen Tabak in der Pfeife rauchen, ein bisschen mit der | |
| Gießkanne schütteln und mit Gummistiefeln im Beet stehen, so hatte sie sich | |
| die Gärtnerei vorgestellt. Die meiste Zeit stand sie jedoch gebückt in | |
| Folientunneln, es war kalt und feucht. „Scheiße, da wäre ich doch mal | |
| besser zur Schule gegangen“, dachte sie. Sie machte ein technisches | |
| Fachabitur und bekam per Losverfahren einen Studienplatz in Kassel: | |
| Landschaftsarchitektur. Um sich zu finanzieren, arbeitete sie weiter als | |
| Gärtnerin, „richtige Maloche“. Fünf Männer waren in ihrer Kolonne, die | |
| gegen eine Frau als Vorarbeiterin rebellierten. Dass Alkewitz stets mit | |
| ihrem frisierten Motorrad vorfuhr, machte aber Eindruck. | |
| Die Ruine: Zum Arbeiten ging sie später nach Berlin, fuhr mit ihrem | |
| Motorrad nach dem Mauerfall raus in den Osten, nach Zernikow. Ein seltener | |
| Tulpenbaum gefiel ihr besonders. Die Ruine daneben, aus der 1992 noch wegen | |
| eines Rohrbruchs das Wasser sprudelte, ist heute ihr knallblaues Haus. | |
| 18 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jolinde Hüchtker | |
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